Helmut Schmidt und der Seitensprung

Kaum war mein Artikel über den Seitensprung online, kam die Nachricht, Alt-Kanzler Helmut Schmidt habe seine Loki betrogen. In seiner neu erschienen Biographie räumt Schmidt mit seinem Leben auf und da musste das nun auch endlich raus. Und natürlich bietet es allen Grund für großen Schlagzeilen. Am Donnerstag wird der Stern Auszüge aus dem Lebenswerk veröffentlichen. Unser Helmut ist fremdgegangen! Aber warum ist das so eine große Nachricht? Liegt das daran, dass der Alt-Kanzler, mal abgesehen von seinem immensen Zigarettenkonsum, bisher über jede Untat erhaben war? Galt die Ehe von Helmut und Loki bisher als das große Ideal einer lebenslangen Liebe? Immerhin waren die beiden unvorstellbare 68 Jahre miteinander verheiratet. Wahnsinn. Schmidt selber ist mittlerweile ganze 96 Jahre alt, seine Frau starb vor fünf Jahren.

Die Geliebten der mächtigen Männer

1974 beendete Schmidt seine Affäre, kurz bevor er zum Kanzler gewählt wurde. Ein Kanzler hat keine Geliebte, hat er sich wohl gedacht. Ich muss sagen, dass er mir damit imponiert. Denn er stellte seine moralischen Ansprüche an dieses Amt höher als seine Gefühle. Und er scheint diese Frau sogar geliebt zu haben, wenn man der Biographie Glauben schenkt. Sie ihn übrigens auch. Es heißt sogar, sie sei an der Trennung fast zerbrochen. Ich denke da sofort an die Queen, die mir genauso imponiert, die auch ihr privates Glück immer hinter ihr Amt stellte. Allerdings hatte sie wenigstens in Liebesdingen großes Glück und konnte ihren Traumprinzen damals heiraten. Und die beiden sind nach 68 Jahren Ehe immer noch ein Paar. Lebenslange Partnerschaften, die es heute fast nicht mehr gibt. Ausgestorben wie die Dinosaurier.

Liebe ist mehr als Schmetterlinge im Bauch

Warum hat diese Liebe zwischen Loki und Helmut so lange angehalten? Und wie hat sie den Seitensprung verkraftet? Dazu muss man einmal die Verhältnisse von damals betrachten. Heute lechzen wir nach den großen Gefühlen, erwarten permanente Schmetterlingswolken in unserem Bauch, gehen, weil wir glauben, ohne Leidenschaft nicht leben zu können. Aber Liebe ist eben nicht nur ein Feuerwerk der Gefühle. Loki formulierte es 2005 bei Beckmann so: „Mein Mann Helmut und ich, wir waren niemals verliebt in dem Sinne. Verliebtsein ist wie ein Feuer aus Reisig und Stroh. Dreck, Not und Kummer, wie unsere Generation sie erlebt hat, verbinden mehr.“ Und das hat sie 68 Jahre lang verbunden.

Während der Affäre habe Loki ihrem Ehemann die Trennung angeboten. Aber das kam nicht in Frage. Weder für eine deutsche Ehe, erst recht nicht für einen angehenden Kanzler. Heute leben wir ohne Trauschein zusammen und wenn wir heiraten, können wir uns wieder scheiden lassen. Das kostet Geld und Nerven. Aber damals? Geschieden? Das war ein Stigma. Aber sowas von. Ehebruch wurde bis 1969 sogar juristisch geahndet! Und Ehen wurden nicht nur aus Liebe geschlossen. Oft standen wirtschaftliche und gesellschaftliche Gründe dahinter. Deswegen gab es damals auch so viele Geliebte. Männer, die es sich leisten konnten, hatten irgendwo ein mehr oder weniger ernsthaftes Außenverhältnis. So ungewöhnlich war das mit der Affäre bei Helmut Schmidt also gar nicht. Eher der Trend. Und die Ehefrauen mussten damit leben. Immerhin waren sie ja auch wirtschaftlich abhängig. Auch deswegen kam eine Scheidung in den meisten Fällen nicht infrage.

Man muss nicht alles wissen

So ganz kann man die Werte und Moralvorstellungen der Zeit, in der man aufgewachsen ist, nicht über Bord werfen. Deswegen bin ich froh, dass Loki Helmuts Geständnis an die Öffentlichkeit nicht mehr miterleben muss. Es erfordert Stärke, um einen solchen Vertrauensbruch zu verzeihen. Aber wenn dann das Private so an die Öffentlichkeit gezerrt wird, ist das schmerzhaft, egal, wie lange es her ist.

 

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