Der erste Schritt: Wenn Frauen die Initiative ergreifen

Abends irgendwo in der Großstadt in einem schummrigen Club. Er steht lässig angelehnt mit einem Drink in der Hand an der Bar. Es ist heiß. Er ist heiß. Und sie ist heiß auf ihn. Also pirscht sie sich lautlos an ihn heran. Umkreist ihn mit ihren Gedanken. Nähert sich. Erscheint wie aus dem Nichts plötzlich neben ihm. Lächelt ihn selbstbewusst an. Sie weiß, was sie will. Er auch. Zumindest dachte er das bis gerade eben noch. In seiner Vorstellung erschien es ihm als höchst erotisch, der Gejagte zu sein. Er hatte immer darauf gehofft, dass eine Frau so heiß auf ihn ist, dass sie nicht warten kann, bis er zu ihr kommt.

Nie hätte er sich vorstellen können, in solch einer Situation Nein zu sagen. Immer wieder hat er vor seinen Freunden darüber gesprochen, dass Frauen sich mehr trauen sollen. Dass sie einfach auf ihn zugehen, ihn ansprechen sollen. Ihn fragen sollen, ob er mit ihnen einen Kaffee trinken geht oder gleich zu ihnen mit nach Hause kommt. Wovor sie wohl Angst hätten?! Nun steht sie da und schaut ihn an. Und er will nicht. Irgendetwas an ihr oder an der Situation entspricht nicht seiner Vorstellung. Vielleicht ist es die Haarfarbe, vielleicht ist es das Alter, vielleicht ist es die späte Stunde. Das hatte er sich in seiner Fantasie anders ausgemalt. Und so wendet er sich wieder seinem Kumpel zu und lässt sie kalt abblitzen.

Steht Emanzipation auch für das Ansprechen von Männern?

Ich habe schon häufiger gehört, dass Männer von Frauen den ersten Schritt fordern. Schließlich seien wir doch emanzipiert und träten für die Gleichberechtigung ein. Also gelte auch hier Arbeitsteilung. Wir sollen uns trauen und loslegen. Ob auf der Straße oder online. Sie als Männer würden sich freuen! Was könne einer schönen Frau schon geschehen? Und da haben wir es auch schon. Denn ein Mann scheint davon auszugehen, dass ihm die Frau, die ihn anspricht, gefällt. Er kann sich in dem Moment gar nicht vorstellen, dass das auch anders sein könnte. So wie der Mann an der Bar.

Aber woher sollen wir wissen, was dieser eine Mann nun als attraktiv empfindet? Steht er auf blond, braunhaarig, rothaarig? Groß, klein, weiblich, androgyn? Steht er auf klare Ansagen? Oder wird er davon eher verschreckt? Wir brauchen nur eine zehntel Sekunde, um uns ein Urteil über einen fremden Menschen zu bilden. Hop oder Top? Freund oder Feind? Dabei geht es gar nicht nur um körperliche Attribute wie die Augenfarbe oder den Brustumfang. Wir checken in dieser sehr kurzen Zeitspanne auch den sozialen Status des anderen ab. Passt der oder die Andere zu mir? Zu meinem gesellschaftlichen Status? Meinem Bildungsstand? Meinem Alter? Meiner Herkunft? Auch Männer können sich davon nicht freimachen. Vielleicht, wenn es tatsächlich nur um Sex geht. Aber Männer haben auch Gefühle und wollen manchmal einfach nur kuscheln. ? Und dann geht es auch ihnen natürlich um viel mehr.

Können sich die Gejagten zu Jägern erheben?

Zudem scheint da dann doch noch ein wenig Jagdtrieb in den Männern zu stecken. Ich wehre mich ja immer vehement gegen diese evolutionär begründeten Aussagen wie „Ein Mann will jagen, weil er das schon während der gesamten Menschheitsgeschichte getan hat“ oder „Männern liegt es in den Genen, ihren Samen möglichst breit zu streuen“. Wir sind heute gesellschaftlich und moralisch so fest im Hier und Jetzt verwurzelt, dass wir durchaus in der Lage sind, uns über unsere Gene zu erheben. Abgesehen davon sind auch unsere Gene nicht in Stein gemeißelt und passen sich den äußeren Veränderungen an.

Deshalb bin ich der Meinung, dass es nicht der Urmensch in uns ist, der es Männern gebietet, sich selber auf die Jagd nach der passenden Frau zu machen. Es ist vielmehr das Bild der jagenden, sexuellen Frau, das immer noch nicht in unseren Köpfen angekommen ist. Die Psychologin Terri Fisher von der Ohio State University formuliert es zutreffend: „Ein sexuelles Wesen zu sein, jemand, dem Sexualität gestattet wird, diese Freiheit gewährt die Gesellschaft Männern viel bereitwilliger als Frauen.“ Tief in uns bleibt der Gedanke verwurzelt, dass Frauen lieber etwas zurückhaltend sein sollten. Je geheimnisvoller desto interessanter. Nicht unnahbar, aber auch nicht zu offen. Und beim ersten Date bloß keinen Körperkontakt, damit sie nicht als „leicht zu haben“ durchgeht. Bei zu viel Interesse oder einer zu forschen Herangehensweise kommt schnell der Gedanke auf „Die hat es aber nötig!“ Ich weiß, das ist Quatsch. Und ganz langsam wandelt sich auch dieses Bild. Aber mal ehrlich, wer hat sich nicht schon einmal bei dem Gedanken erwischt? Und genau deshalb müssen Männer jagen. Sie untermauern damit die Unberührtheit der Frau.

Wie man in den Wald hineinruft

Wenn wir also alle wollen, dass Frauen den ersten Schritt machen, dann müssen wir auch die Bedingungen dafür schaffen. Was brauchen wir dafür? Erstens: Wir befreien unseren Kopf von gesellschaftlichen Vorurteilen. Ich weiß, das ist nicht einfach. Aber wenn wir wollen, dass Frauen sich mehr trauen, dann sollten wir ihnen dieselben Rechte zugestehen. Frauen, die auf Männer zugehen, sind nicht leicht zu haben und sie sind auch nicht bedürftig. Ganz im Gegenteil sind sie selbstbewusst und zeigen, dass sie für ihre Wünsche einstehen. Zweitens: Für Männer ist das Abblitzen nicht ganz so dramatisch wie für Frauen. Sie haben zumeist ein höheres Risikoverhalten und probieren sich eher einmal aus.

Mit Zurückweisungen können wir trotzdem alle nicht so gut umgehen. Ich gehe einmal davon aus, dass jeder von uns schon einmal diese Erfahrung gemacht hat. Wie wäre es dann für beide Seiten, auch bei nicht sofortigem vor Begeisterung In-Ohnmacht-Gefalle freundlich und respektvoll zu reagieren? Beispiel Online-Dating: Brecht den Kontakt nicht einfach wortlos ab. Gebt dem oder der Anderen die Möglichkeit zu verstehen, wo das Problem liegt. Auf der Straße? Einfach zurücklächeln! Das kostet nichts. Das bringt Euch kurzfristig zwar nicht Eurem Traumprinzen oder Eurer Traumprinzessin näher, wandelt aber langfristig das Klima. Das hört sich sehr idealistisch an. Aber irgendwo müssen wir mit dem Weltverbessern ja anfangen! Und wer weiß, ob dabei nicht doch noch eine wunderbare Freundschaft oder zumindest ein unterhaltsamer Abend herauskommt!

Veröffentlicht auf https://www.orion.de/blog/wenn-frauen-den-ersten-schritt-beim-kennenlernen-machen/

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