6 Gründe, warum ein Mann die Lust auf Sex verlieren kann

Am Anfang war alles ganz toll. Sie waren frisch verliebt und fummelten ständig aneinander herum. Sehr oft, in ihren Augen manchmal fast schon zu oft, landeten sie dann in der Kiste. Wenn sie seinen aufgerichteten „Schwanz“ sah, fühlte sie sich begehrt und gewollt. Das war wunderbar und gleichzeitig sehr erregend. Später wurde es langsam weniger. Alles ganz normal, dachte sie da noch. So ist das eben mit der Lust. Je länger man zusammen ist, desto mehr verwandelt sie sich in das beständige Gefühl der Liebe. Schließlich kamen der Umzug in eine gemeinsame Wohnung, die ersten schweren Zusammenstöße, ein Kind und sein beruflicher Aufstieg, während sie zuhause blieb.

Sie schliefen immer seltener miteinander. Das zweite Kind kam. Am Abend wurde es immer später bei ihm, schließlich war er jetzt Chef einer ganzen Abteilung. Die finanzielle Situation hätte kaum besser sein können. Aber sie fühlte sich allein und zurück gelassen. Sie fing an, ihn zu bedrängen, auch sexuell. Und dabei zog er sich immer mehr zurück, bis hin zur völligen Teilnahmslosigkeit.

Nun sitzt sie da und fragt sich, was passiert ist. Findet er sie nicht mehr attraktiv? Hat er eine andere Frau? Dass ein Mann, ganz besonders ihr Mann, einmal keine Lust auf Sex mehr haben könnte, hätte sie sich niemals vorstellen können. Wie so viele dachte auch sie, dass ein Mann doch immer will. Und immer kann. Auch er selber fragt sich das. Was ist nur los mit ihm? Früher wollte er doch auch immer.

Das Vorurteil von der männlichen Dauerlust

Männer können immer, Männer wollen immer. Das ist ein gängiges Vorurteil über männliche Lust, leider nicht unbedingt zum Vorteil des Mannes. Denn nicht selten soll damit auch ausgedrückt werden: „Hej, Männer wollen ja doch nur das Eine!“ Aber nicht nur Frauen denken so. Auch Männer selber haben dieses Bild von sich. Es erscheint männlich, immer bereit zu sein und immer zu funktionieren. In der Pubertät ist es ja auch das, was Jungen oft erleben. Überflutet von Hormonen scheint ihr Körper regelrecht zu überfunktionieren: Schon der leiseste Gedanken an etwas auch nur entfernt Sexuelles lässt die Erregung durch den Körper schießen. Und das auch noch direkt ins Genital. So ungünstig die Situation auch sein mag. Das kennt vermutlich der eine oder andere Leser aus eigener Erfahrung.

Und dann kommt plötzlich der Moment, in dem die Lust einfach ausbleibt. Ein erstes Mal, ein zweites Mal, ein drittes Mal. Panik steigt auf. Das kann doch gar nicht sein, Männer können und wollen doch immer! „Was stimmt nicht mit mir?“ fragen sie sich. „Was stimmt nicht mit ihm?“ kommt von der anderen Seite der Beziehung. Schließlich hat es doch bisher alles so einwandfrei geklappt.

Leistungsdruck steht im Gegensatz zur Lust

Dieses beiderseitige Unverständnis hat viel mit unserer heutigen Sichtweise von Leistung zu tun. In einer Welt, in der wir immer funktionieren müssen, sei es privat oder beruflich, scheint auch die Lust immer verfügbar sein zu müssen. Müssen. Etwas sein zu müssen oder etwas leisten zu müssen, steht jedoch im puren Gegensatz zur Lust. Wenn wir etwas müssen, vergeht uns die Lust schneller als sie gekommen ist. Dieser permanente Leistungsdruck und der hohe Anspruch an uns selbst führen jedoch nicht nur dazu, dass die Lust als solche verschwindet. Das führt auch dazu, dass unser Körper permanent unter Druck steht.

Auch männliche Lust ist abhängig von den Lebensumständen

Von weiblicher Lust wird oft gesagt, sie sei wankelmütig und störanfällig. Aber auch die männliche Lust ist nicht wie der Fels in der Brandung. Sie ist vielmehr wie der Baum, der sich im Wind bewegt, mal stärker, mal schwächer. Der Baum, der sich im Verlauf der Jahreszeiten verändert, der im Herbst seine Blätter verliert, von Schnee bedeckt ist und sich im Frühling wieder neu entfaltet. Der eingeht, wenn wir ihm die Nährstoffe entziehen, der vom sauren Regen vergiftet wird. Und der sich sogar noch als kleiner Trieb aus einem abgesägten Stamm wieder durchkämpft, wenn wir ihm die Chance dazu geben.

Treten wir auch der männlichen Lust etwas verständnisvoller gegenüber. Bevor wir in Panik ausbrechen, sollten wir einmal etwas genauer schauen, was hinter dem Problem stecken könnte. Denn ganz genau wie bei dem Baum gibt es viele verschiedene Ursachen dafür, wenn einem Mann die Lust abhanden kommt. Lust „funktioniert“ nicht einfach. Schließlich macht unser Alltag nicht Halt vor unserer Sexualität. Ganz im Gegenteil. Er ist eng verwoben mit unserer Lust, unserem Erleben und unserer Genussfähigkeit. Aber das müssen wir uns erst einmal bewusst machen.

Wenn Ihr also einen Partner habt oder selber ein Mann seid, der gerade keine Lust hat, schaut doch einmal, ob etwas von den hier aufgezählten Gründen auf ihn oder auf Euch zutrifft:

1. Stress und Druck verursachen eine körperliche Anspannung

Wenn Euer Partner im Job unter ständiger Anspannung steht und über- oder auch unterfordert ist, Ihr Euch mit finanziellen Sorgen oder mit Beziehungsproblemen herumschlagt, kann ihm die Lust auf Sex schon vergehen. Dabei geht es gar nicht nur um die Gedanken, die vielleicht um ein bestimmtes Thema kreisen und eine erotische Stimmung nicht zulassen. Auch der Körper spielt dabei eine wichtige Rolle. Denn dieser ist jetzt besonders angespannt und innerlich fast schon steif. Wir alle verlieren dabei das Gefühl für unseren Körper.

Ich habe eine kleine Übung für Euch, die das verdeutlichen soll. Ihr könnt dabei sitzen oder auch stehen:

  1. Spannt alle Muskeln des Körpers ganz fest an.
  2. Zieht Euer Gesicht wie beim Probieren einer sauren Zitrone zusammen.
  3. Ballt die Hände zu Fäusten.
  4. Drückt die Arme fest an den Körper.
  5. Spannt den Bauch und den Beckenboden ganz stark an.
  6. Presst die Beine und Füße gegen den Boden.

Wie fühlt sich das an? Könnt Ihr dabei Lust empfinden? Das wird vermutlich schwierig. Denn für Lust brauchen wir eine gewisse Geschmeidigkeit, damit die Erregung fließen kann. Versucht, Euren Partner mit einer Massage zu entspannen. Klopft, streichelt, streicht über seine Haut, bis er sich entspannt und sich wieder besser spürt.

Und für Euch Männer: Macht Euch die körperliche Anspannung bewusst, wenn Ihr unter Stress und Druck steht. Sorgt für einen Ausgleich. Progressive Muskelentspannung, autogenes Training, Meditation oder Yoga sind nicht nur etwas für Frauen!

2. Nicht ausgelebte sexuelle Wünsche blockieren

Nach der heißen Anfangsphase treffen sich viele Paare im Bett beim kleinsten gemeinsamen Nenner. Man hat ja so langsam herausgefunden, was den anderen erregt und dann wird das Programm so auch abgespult. Wenn bis dahin nicht über das gesprochen wurde, was er oder sie noch gern hätte, wird es schwer. Es ist ohnehin nicht einfach, über sexuelle Wünsche zu sprechen. Die einen haben Angst, den anderen zu verlieren, zu schockieren oder zu verletzen. Und die anderen wissen noch nicht einmal selber, was sie wirklich wollen. Wenn ich aber nicht auslebe, was mir WIRKLICH Spaß macht, wenn ich es verdränge oder mich immerzu danach sehne, wie soll ich dann dauerhaft Lust auf Sex haben? Und das gilt für Männer wie auch für Frauen.

Deshalb: Ran an den Speck! Raus damit! Butter bei die Fische!

  • Fragt Euren Partner, was er sich wünscht.
  • Seid offen, hört es Euch an und überlegt Euch, wie und was Ihr davon umsetzen könnt.

Oder hat er es Euch vielleicht sogar schon mitgeteilt oder gezeigt und Ihr habt ihm die kalte Schulter gezeigt? Wie würde es sich anfühlen, wenn er sich Euch gegenüber so verhalten würde, Euch so abblitzen lassen würde? Aber selbst wenn Ihr Euch auf keinen Fall darauf einlassen könnt, versucht, ihn damit zu akzeptieren. Liebt ihn für seinen Mut und seine Ehrlichkeit.

Und für die Männer, die sich jetzt fragen, wie sie es anstellen sollen: Ihr müsst ja nicht gleich das volle Programm einfordern. Überlegt Euch, wie Ihr in kleinen Schritten dahin kommt. Und verpackt es in Ich-Botschaften: „Ich wünsche mir, dass du Dir mit mir zusammen einen Film über wasauchimmer anschaust, dass Du Dich für mich in schöne Dessous kleidest.“ Seid dabei so konkret wie möglich. Und erklärt, warum Ihr das möchtet. Wir Frauen wollen ja immer wissen, was Ihr denkt und was Ihr fühlt.

3. Depressionen und Medikamente haben lusthemmende Nebenwirkungen

Wie geht es Eurem Partner gesundheitlich? Ist da alles chico? Oder gibt es doch die eine oder andere erwähnenswerte Angelegenheit? Volkskrankheit Nummer Eins ist die Depression und betrifft nicht nur Frauen. Aber gerade Männer können sich ganz Probleme nur sehr schwer eingestehen. Sie haben schließlich keine, schon gar keine psychischen …

Eine Depression jedoch führt zu verschiedenen vegetativen Symptomen wie Appetitlosigkeit, Müdigkeit, Ein- und Durchschlafstörungen oder Druck auf der Brust. Das allein würde ja schon ausreichen, der Lust auf Sex den Garaus zu bereiten. „Libidoverlust“ ist aber zudem ein eigenes Symptom. Die Lustlosigkeit steht also im großen Zusammenhang mit einer seelischen Erkrankung und ist ein Symptom unter vielen. Deshalb geht es hier auch nicht darum, die Lust einzeln wiederzubeleben, sondern dem Mann aus seinem kompletten emotionalen Tief herauszuhelfen. Wenn die Lebenslust wieder kommt, kann sich auch die Lust auf Sex entfalten.

Und wie kommt die Lebenslust wieder? Je nach Schweregrad der Depression hilft eine Psychotherapie mit oder ohne unterstützende Medikamente. Apropos Medikamente: Es gibt eine ganze Reihe von Arzneimitteln, die als Nebenwirkung Lustlosigkeit hervorrufen, so wie die Pille bei Frauen. Deshalb ist es sinnvoll, wenn Euer Partner dies mit dem Arzt oder der Ärztin bespricht.

4. Was macht der Testosteronspiegel?

Und wenn er das schon bespricht, kann er auch gleich seinen Testosteronspiegel checken lassen. Denn dieser kann ab dem 35. Lebensjahr bei Männern sinken – bei den einen mehr, bei den anderen weniger. Er kann sich auch Jahrzehnte auf seinem ursprünglichen Niveau halten. Das ist also soweit alles ganz normal. Nur spielt ausgerechnet dieses Hormon eine entscheidende Rolle bei der Entstehung von Lust. Sowohl bei Männern als auch bei Frauen. Und tatsächlich hält Prof. Dr. Frank Sommer vom UKE in Hamburg den sinkenden Testosteronspiegel für einen Hauptgrund bei Lustlosigkeit von Männern.

Nun kann man dem Problem vielleicht mit der medikamentösen Zugabe von Testosteron beikommen. Aber vielleicht geht es auch einfacher. Denn Sommer empfiehlt in einem Interview mit dem Focus

  • Krafttraining
  • Sprinttraining
  • oder Intervallläufe im Wald,

um dadurch den Testosteronspiegel zu erhöhen. Auch seien

  • „moderater Ausdauersport, der eine Kombination aus Bewegung, Entspannung, verbesserter Durchblutung und Sauerstoffversorgung – auch der Sexualorgane – bietet, etwa Joggen, Nordic Walking oder ähnliches“ bestens geeignet.

Und Sommer kennt sich damit aus, denn er ist nicht nur Androloge und Urologe, sondern auch Sportmediziner.*

Wo wir gerade dabei sind: Fehlende Bewegung kombiniert mit Alkohol, Zigaretten, Drogen oder sonstiger ungesunder Lebensumstände trägt sicherlich auch nicht zu einer lustfördernden körperlichen Konstitution bei.

5. Lustlosigkeit kann ein Vermeidungsverhalten sein

Seid Ihr schon einmal in einer ganz besonders wichtigen Sache gescheitert? Zum Beispiel bei einer wichtigen Prüfung? Oder bei einem Heiratsantrag? Seid Ihr vom Friseurbesuch mit einer völligen Fehlinterpretation Eurer Wünsche nach Hause gekommen? Dann gehe ich davon aus, dass Ihr beim nächsten Mal schon sehr viel vorsichtiger wart. Vielleicht habt Ihr die Sache auch gleich gecancelt.

Und jetzt stellt Euch vor, Euer Partner hatte ein erotisches Missgeschick. Ihr habt ihn abgewiesen oder seine Erektion hat nicht mitgespielt. Es gibt Kämpfernaturen, denen das nichts ausmacht. Die denken nicht weiter darüber nach und versuchen ihr Glück bei der nächsten Gelegenheit. Aber andere ziehen sich zurück aus Angst, es könnte sich wiederholen. Und dabei haben sie so viele verschiedene Gedanken im Kopf:

  • Vielleicht glauben sie, erfahrener sein zu müssen als ihre Partnerin. Und wenn dann einmal etwas nicht klappt, befürchten sie, ihr Gesicht zu verlieren.
  • Vielleicht steigern sie sich so weit in die Angst hinein, dass sie ernsthafte Erektionsprobleme bekommen.
  • Vielleicht denken sie, nur Geschlechtsverkehr sei echter Sex und wenn der nicht geht, dann bräuchten sie gar nicht erst anzufangen.

Zeigt Eurem Partner, was Sex für Euch bedeutet. Erklärt ihm, warum Ihr neulich nicht wolltet. Lag es an ihm? Kam er nur im falschen Moment? Gab es etwas, worüber Ihr Euch gerade geärgert hattet? Über Sexuelles zu sprechen, kann Euch in eine ganz neue Vertrautheit bringen.

6. Die inneren Glaubenssätze erkennen

Als letzten Punkt möchte ich noch die inneren Glaubenssätze erwähnen. Das sind die Vorstellungen, die uns unsere Eltern, die Gesellschaft oder unsere Religion über Sex und Sexualität vermittelt haben. Es sind auch die Erfahrungen, die wir im Laufe unseres Lebens gesammelt haben. Nicht alle Glaubenssätze und Erfahrungen sind positiv. Vielleicht ist Euer Partner sehr streng erzogen worden. Möglicherweise hat er nicht gelernt, seinen Körper zu bewohnen, seine Lust zuzulassen. Eventuell hat er unbewusst ein negatives Bild des anderen Geschlechts übernommen, fühlt sich schnell ausgebeutet oder ausgenutzt. Vielleicht ist ihm auch etwas Schlimmes passiert. Und dann kann er das, was er vielleicht auch will, gar nicht richtig zulassen.

Es ist nicht einfach, diese Glaubenssätze aufzuspüren. Wenn Ihr der Sache auf den Grund gehen möchtet, braucht Ihr Fingerspitzengefühl und viel Einfühlungsvermögen. Vor allem muss Euer Partner bereit sein, sich zu öffnen. Männer glauben ja gern, dass ihnen nichts etwas anhaben kann. Aber Gefühle bahnen sich ihren Weg. Und auch hier kann das gemeinsame Gespräch eine neue Form der Verbindung zwischen Euch schaffen.

Gebt der Lust eine Chance

Denkt bitte immer daran: Wenn Euer Partner keine Lust auf Sex hat, dann bedeutet das nicht gleich, dass er Euch nicht mehr attraktiv findet oder eine andere Person in sein Leben getreten ist. Schaut gemeinsam und vor allem ohne Druck, was dahinter stecken könnte. Geht die Punkte im Einzelnen durch. Und wenn Ihr gar nicht mehr miteinander reden könnt, solltet Ihr erst einmal anfangen, Euch wieder anzunähern. Auch das ohne Druck und ohne Forderungen zu stellen.

Foto: Mit freundlicher Genehmigung meiner Freundin Dörte Schulz

Veröffentlicht auf orion.de

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