Partnerschaft im Optimierungswahn

In unserem Leben soll nach Möglichkeit alles perfekt sein: Unser Körper, unser Job, unser Zuhause und natürlich auch unsere Beziehung. Darunter geben wir uns nicht zufrieden. Und selbst wenn alles andere doch nicht so gut läuft – bei unserer Vorstellung der perfekten Beziehung nehmen wir keine Abstriche in Kauf. Hier wollen wir das komplette Paket:

  • Den Partner oder die Partnerin, der oder die wirklich ALLE unsere Interessen teilt, ALLE unsere Wünsche im Bett erfüllt (selbst wenn wir ihr oder ihm gar nicht sagen, was wir uns wünschen) und das Ganze bitteschön mit lebenslangen Verliebtheitsgefühlen.

Erfüllt der oder die andere diese Kriterien nicht, dann überstehen wir vielleicht die Verliebtheitsphase. Aber spätestens danach werden wir mit der Realität konfrontiert. Und dann beginnen wir, an der Liebe zu zweifeln. So haben wir uns das nicht vorgestellt. Schließlich schwebt uns doch die Perfektion vor. Aber gibt es die überhaupt in einer Beziehung?

Wer sind unsere Vorbilder?

Ein einzelner Mensch soll es also sein, der für alle unsere Bedürfnisse zuständig ist. Wer hat uns diese Idee nur eingepflanzt? Von irgendwo muss diese Vorstellung ja nun kommen. Wir alle lernen von Vorbildern. Aber wen haben wir beobachtet? Von wem haben wir gelernt?

  • Waren es vielleicht unsere Großeltern?

Die leben oder lebten ja teilweise tatsächlich ein Leben lang zusammen. Wir kennen diese Menschen von frühester Kindheit an und können uns kaum vorstellen, dass es auch hier ganz große Höhen und Tiefen gab. Wir wissen nicht, ob sie vielleicht gar nicht mehr zusammen wären, hätte es die Möglichkeit zur Trennung gegeben.

Sehr schön dazu finde ich den Artikel von Stefanie Pichlmair, die ihre Großeltern über deren Liebe befragte und feststellte, dass es die so nie gegeben hatte. Ihre Großeltern waren aus einem anderen Grund zusammen geblieben: Sie brachte es nicht übers Herz, ihn nach einem Unfall allein zu lassen und er blieb später aus Pflichtgefühl bei ihr. Aber aus Liebe? Nein. Und ob sie wohl den perfekten Sex hatten, nach dem wir uns heute so sehnen? Wohl kaum.

  • Sind es vielleicht unsere Eltern?

Führen die so eine perfekte Beziehung, wie wir sie uns vorstellen? Ich gehe jetzt einmal davon aus, dass diese Frage nicht alle bejahen. Je jünger wir sind, desto mehr Scheidungskinder finden wir unter uns und desto mehr Menschen leben in Patchwork-Familien. Trennungen über Trennungen. Aber auch unsere Eltern sind oder waren sicherlich einmal glücklich. Trotzdem werden sie uns kaum die perfekte Beziehung vorgelebt haben, auch wenn sie sicherlich noch so einiges mehr vor uns verbergen.

Und was ist mit dem Liebesleben? Haben sie sich wohl alle erotischen Wünsche von den Augen abgelesen und erfüllt? Natürlich nicht, schließlich haben keine Eltern jemals überhaupt Sex, weder perfekten noch unperfekten. Außer den zum Zeitpunkt unserer Zeugung ;-))

Also auch hier Fehlanzeige. Aber anstatt mit dieser Erfahrung und diesem Wissen weise durch die Welt zu ziehen, halten wir strikt an unserem Plan von der perfekten Beziehung fest. Und wir beenden, was vielleicht Liebe werden könnte.

Die großen Liebesgeschichten der Weltliteratur

Die einzig wirklich perfekten Beziehungen finden wir wohl in Büchern und Filmen. Und hier schlägt es gleich richtig ein. Zwei Menschen begeben sich bewusst auf die Suche nach Mr. oder Mrs. Right, werden einander versprochen oder sie laufen sich rein zufällig über den Weg. Im Supermarkt, am Arbeitsplatz, auf der Hochzeit des besten Freundes. Meistens stehen den beiden dann ein paar Hürden im Weg. Nach vielen Irrungen und Wirrungen werden diese aber im Laufe der Erzählung gemeinsam überwunden, bevor es abschließend im großen Finale endlich richtig funkt. Und hat es das endlich, ist die Geschichte an dieser Stelle auch schon zu Ende. Ach, wie schön!

Bis hierher kennen wir das eine oder andere vielleicht sogar aus eigener Erfahrung. Vielleicht nicht ganz so romantisch, vielleicht nicht ganz so weltbewegend. Aber weiter als bis zum Ende eines Films oder Buchs können wir den Protagonisten leider nicht zuschauen. Und so sehen oder lesen wir nicht, mit welchen Problemen die beiden im weiteren Verlauf konfrontiert werden. Wir wissen nicht, was passiert, wenn einer oder eine den Job verliert, ein Kind die Liebesbeziehung hinzu kommt oder der Sex dann doch langweilig wird. Wir glauben fest daran, dass die Funken im Film ewig sprühen.

Leistung, das Lebensgefühl unserer Zeit

Reichen ein paar fiktive Geschichten allein wirklich aus, um uns entgegen aller realen Erfahrungen immer wieder auf die Suche nach dieser optimalen Liebe zu schicken? Eine Suche, die uns alles das am Wegesrand liegen lassen lässt, was nicht 100%ig in unsere Vorstellung passt?

Ich denke, dazu gehört noch mehr. Wir wollen uns selbst ja auch permanent optimieren. Wir formen unseren Körper, unsere Energie, unseren Geist, unser Auftreten und sind dabei eigentlich kaum zufriedenzustellen. Wir beobachten uns selbst mit Argusaugen und sind überkritisch. Und natürlich ist es schwer, einen anderen Menschen so zu nehmen, wie er oder sie ist, wenn wir uns selbst schon nicht so nehmen können, wie wir sind. Wir fordern von uns und den anderen Leistung, Leistung, Leistung. Wir stellen permanent Anforderungen an alles.

„Einer für mich, aber nicht für alles“

Aber in einer Beziehung geht das nun einmal nicht. Hier kommen zwei echte Menschen mit ganz eigenen Vorstellungen und Wünschen zusammen. Und je mehr Druck wir aufbauen, desto weniger geben wir uns die Chance, den anderen wahrzunehmen in seiner oder ihrer Einzigartigkeit und Besonderheit. Wir werden niemals diese 100prozentige Übereinstimmung finden. Aber wir können überlegen, an welchen Stellen wir uns und unserem Partner eine Eigenständigkeit zugestehen und wo wir wirklich Gemeinsamkeiten brauchen. Und dann sollten wir die Erfahrung machen dürfen, dass die Schmetterlinge im Bauch irgendwann ganz ruhige Bahnen ziehen. So können wir es vielleicht schaffen: „Einer für mich, aber nicht für alles.“

Veröffentlicht auf idee-fuer-mich.de

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