Wann ist zu früh zu früh? Der BMI und die vorzeitige Ejakulation

Ok, jetzt ist es amtlich. Dicke Männer sind besser im Bett. Zumindest werden die Ergebnisse der Studie der türkischen Erciyes University von den Medien gern in diese Richtung interpretiert. Denn in der Studie mit Männern zwischen 21 und 54 Jahren stellte sich heraus, dass diejenigen mit einem höheren Body Mass Index, also einem höheren Körpergewicht, weniger häufig unter einem lebenslangen vorzeitigen Samenerguss leiden als normalgewichtige Männer. Als Ursache hierfür wird ein erhöhter Anteil an weiblichen Sexualhormonen verantwortlich gemacht. Je schlanker ein Mann, desto größer also die Wahrscheinlichkeit, dass er an einer dauerhaften Sexualstörung leidet. So zumindest die Zahlen.

Man muss sich hier natürlich erst einmal die Frage stellen, was „gut im Bett sein“ eigentlich bedeutet. Und das ist gar nicht so einfach, denn das sieht ja jeder anders. Während viele Männer eher fixiert auf den Geschlechtsverkehr und seine Dauer sind und sich damit schon selber unter Druck setzen, gewinnen Frauen auch Hand- und Zungengeschicklichkeit sehr viel ab. Und mal ganz abgesehen von der Technik spielen ja nun auch Gefühle eine wesentliche Rolle beim Liebesspiel.

Die Schwierigkeit der Definition

Was genau ist eigentlich ein lebenslanger vorzeitiger Samenerguss? Schon die Frage, was man überhaupt unter einem vorzeitigen Samenerguss (Ejaculatio Praecox, EP) versteht, lässt sich tatsächlich nur schwer beantworten, da hierbei das subjektive Empfinden und kulturelle Gegebenheiten eine wesentliche Rolle spielen. Insgesamt gibt es derzeit neun verschiedene Definitionen, angefangen bei „früher als die Person es wünscht“ – was auch schon mal eine halbe Stunde sein könnte, falls die zeitliche Messlatte durch Pornokonsum oder kulturelle Gegebenheiten sehr hoch liegt – bis hin zu 15 Sekunden nach Eindringen in die Vagina (homosexuelle Kontakte sind übrigens in keiner der Definitionen enthalten). Aber wer kann das schon so genau messen? Das ist eine weitere große Schwierigkeit bei der Diagnose, denn das Zeitgefühl beim Geschlechtsverkehr ist ohnehin verändert und wird zudem auch noch von beiden Partnern unterschiedlich wahrgenommen.

Was bleibt, ist zweierlei: Wenn die Ejakulation schon vor dem Eindringen in die Vagina eintritt, währenddessen oder sofort danach, spricht man sicher von einem vorzeitigen Samenerguss. Hinzu kommen der daraus resultierende Leidensdruck und Beziehungsprobleme. Über die Hälfte der Männer hat das Gefühl, die Partnerin im Stich zu lassen. Frustration, Wut, Enttäuschung, Schuld, Angst, Verleugnung bilden einen Kreislauf, aus dem ein Paar nur schwer allein herauskommt. Andersherum sind Probleme in der Partnerschaft sehr oft auch der Auslöser für die sogenannte „erworbene“ Ejaculatio Praecox und sie kann schleichend oder plötzlich auftreten. Und auch wieder verschwinden.

Von „lebenslang“ spricht man erst, wenn das Problem schon von der ersten sexuellen Erfahrung an besteht, dauerhaft bei jedem sexuellen Kontakt stattfindet und partnerunabhängig ist. Es wird heute allgemein davon ausgegangen, dass in diesem Fall neurophysiologische Abläufe die Ursache sind. Da selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer die Ejakulation verzögern, bilden diese Medikamente die Basis für die Behandlung dieser Form der EP. Neu ist jetzt der Zusammenhang mit dem Körpergewicht. Vielleicht lassen sich auf der Basis der gewonnenen Erkenntnisse neue Therapieformen entwickeln.

Interessant ist übrigens, dass es die „Krankheit“ Ejaculatio Praecox erst seit den 1960ern gibt. Das ist der Zeitpunkt, zu dem der weibliche Orgasmus in den Fokus der Öffentlichkeit geriet und es zunehmend wichtig für den Mann wurde, länger zu können und die Frau zu befriedigen. Spannend zu überlegen, ob es auch eine „rechtzeitige“ Ejakulation gibt. Und wäre die dann vor, während oder nach dem Orgasmus der Frau???

Nicht jeder vorzeitige Samenerguss ist gleich eine dauerhafte Sexualstörung

In einer ebenfalls in der Türkei durchgeführten Studie berichtete jeder fünfte Befragte von einem vorzeitigen Samenerguss. Das scheint eine sehr hohe Zahl zu sein. Hierbei muss aber hinterfragt werden, wann genau ein Mann ein Problem für sich definiert. Denn wie wir oben gesehen haben, ist das sehr subjektiv. Eine unkontrollierbare Ejakulation kann im Sexualleben eines Mannes schon mal vorkommen. Das gehört zur natürlichen Variabilität und kann z.B. durch Stress oder Unsicherheit ausgelöst werden. In einer Welt, in der wir die dauernde Kontrolle anstreben, kann es schnell Angst machen, wenn der Körper nicht so will, wie man sich das vorstellt.

Oft spielen auch überzogene Leistungsvorstellungen eine große Rolle. Obwohl ein Geschlechtsverkehr in Deutschland durchschnittlich sechs Minuten dauert, denken viele Männer, sie müssten viel länger können und setzen sich unter Druck. Und unter Druck funktioniert schon mal gar nichts. Das ist bei uns Frauen ja nicht anders, nur sieht man es hier nicht so. Auch das Ziel, gleichzeitig mit der Partnerin zum Orgasmus zu kommen, schürt den Druck. Hier hilft oft schon ein Gespräch in einer Sexualberatung, um verzerrte Vorstellungen richtig zu rücken. Leider ist das ja genau das, was Männer nicht gern machen – über Probleme reden.

Also, Männer, nehmt euch ein Herz und sprecht mit eurer Liebsten oder mit mir über eure Wünsche und Vorstellungen! Vielleicht seid ihr gar nicht so weit voneinander entfernt, wie ihr glaubt. Denn ganz ehrlich, länger zu können, heißt nicht, besser im Bett zu sein!

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