LGBTI – Ist das der Begriff der Zukunft? Er steht für lesbisch, schwul, bi, transgender, intersexuell –Eine Abkürzung für viele Lebensweisen. Wie verwirrend die Vielfalt sexueller Orientierungen und Geschlechter sein kann, habe ich unlängst festgestellt. Als ich nach dem Studium nach Hamburg übersiedelte, lernte ich eine Frau in einer für mich damals ungewöhnlichen Lebenssituation kennen. Sie war Lesbe mit Leib und Seele. Sie war politisch als Lesbe aktiv und ging komplett in der lesbischen Subkultur auf. Nun war sie zu der Zeit bereits seit fast zwei Jahren mit ihrer großen Liebe zusammen – und die war ein Mann! War sie denn damit offiziell überhaupt noch eine Lesbe? Oder nicht vielmehr eine Bisexuelle? Und wenn es mit dem Mann vorbei ist, würde sie danach wieder einen Mann lieben? Oder zu den Frauen zurückkehren? Oder war ihr das Geschlecht so vollkommen egal, dass sie sich auch zu Transsexuellen hingezogen fühlen würde, wenn sich dahinter der richtige Partner verbirgt? Damit wäre sie dann eine Pansexuelle. Und wenn sie ohne Partner wäre und ohne jegliche Lust, dann könnte sie auch zu den Asexuellen gehören und in deren Subkultur abtauchen.
Wie kompliziert es doch werden kann, wenn wir einmal ernsthaft darüber nachdenken, warum wir wen in welche Schublade stecken. Eigentlich bräuchten wir auch noch Begriffe für „früher hetero, später homo“ oder für „früher homo, heute hetero“ oder für „früher Mann und hetero, heute Frau und homo“. Und wird man erst homo/hetero/bi, wenn man eine sexuelle Handlung ausgeführt hat? Oder ist man das schon bei den begehrlichen Gedanken daran? Diese nette Sicht kenne ich von reiferen verheirateten und absolut nicht lesbischen Frauen: „Intellektuell bin ich eine Lesbe“. Diese Liste könnte man ad absurdum führen. Je mehr ich darüber nachdenke, desto irrsinniger erscheint es mir. Nun brauchen wir Menschen aber Schubladen, da sie uns das Leben leichter machen. Wenn ich nicht benennen kann, was ich bin, wer bin ich dann? Wie wichtig uns diese Identität ist, kennen wir aus dem Berufsleben. Wer hat nicht schon einmal erlebt, wie sich jemand auf den Schlips getreten fühlte, weil ihn oder sie eine falsche Berufsbezeichnung in ein anderes Licht gerückt hat? Wie wichtig ist es dann erst, sich einer sexuellen Orientierung zuzuordnen? Oder einem Geschlecht? Doch auch das wird immer komplizierter.
Als ich Mitte letzten Jahres auf einem Portal für private Kochsessions zur Beantwortung der Frage nach meinem Geschlecht noch eine weitere Wahlmöglichkeiten zur Verfügung hatte, nämlich „andere/möchte ich nicht sagen“, merkte ich wieder auf. Huch, dachte ich im ersten Moment, was ist denn hier los? Prima, Conchita Wurst muss sich gar nicht im Vorfeld entscheiden, in welcher Identität sie kommen möchte, das kann sie nach Lust und Laune am jeweiligen Abend bestimmen. Das geht nun nicht mehr, seit Facebook kurze Zeit später für fast jede Möglichkeit ein Feld zum Ankreuzen geschaffen hat. Dort gibt es jetzt auch Inter* Frau, Inter* Mensch, intergender, intergeschlechtlich, zweigeschlechtlich, Zwitter, Hermaphrodit, Two Spirit drittes Geschlecht, Viertes Geschlecht, XY-Frau, Butch, Femme, Drag und noch 48 weitere Möglichkeiten. Allerdings darf Conchita sich hier auch einfach jeden Tag neu entscheiden.
Da bin ich fast froh, dass ich einfach „Frau“ ankreuzen kann. Natürlich ist das eine super Sache, wenn man auf der Suche nach der Identität auf diese Weise auch gleich Gleichgesinnte findet. Aber für so machen kann diese Vielfalt auch verwirrend sein. Mal ganz abgesehen davon, dass man mit dem Ankreuzen der jeweiligen Geschlechtsrolle sehr viel von sich preisgibt. In Zeiten der Kommerzialisierung von persönlichen Daten ist das nicht immer zu begrüßen.
Wenn ich hier Geschlecht und sexuelle Orientierung in einen Topf werfe, mische ich Äpfel mit Birnen. Mir geht es aber nicht darum, in die Gender-Diskussion im Allgemeinen einzusteigen. Mir geht es um etwas anderes. Auch wenn ich weiß, wie wichtig es ist, sich zuordnen zu können, so wünsche ich mir doch, dass wir den Menschen in seiner Gesamtheit betrachten und ihn mit dieser ganzen Begrifflichkeit nicht auf seine Sexualität reduzieren. Denn immer, wenn jemand sagt, sie oder er sei homo- oder bisexuell, transmensch, inter oder wasweißich, hören wir im ersten Moment nur „sexuell“. Das Kopfkino ist sofort da. Der ist schwul, der treibt es mit Männern, der steckt seinen Penis gern in andere Männer. Aber der hat vielleicht gar keinen Sex, weil er Single ist oder gerade eine sexlose Phase in der Partnerschaft hat. Und wie der Männerarzt Dr. Pfau auf seiner Seite schreibt, praktizieren nur ganze 40% der schwulen Paare Analverkehr.
Warum reduzieren wir die Menschen dann derart? Sexualität und Geschlecht sind sicherlich zwei ganz wichtige Säulen unserer Identität, aber doch nicht die einzigen! Auch Conchita verdient ihre Brötchen, hat Beziehungen zu anderen Menschen, ist womöglich fanatischer Fußballfan, liebt Musik, hat viel erlebt, ist liebenswert und ein ganz besonderer Mensch. Wenn wir die einseitige Reduktion auf das Sexuelle endlich hinter uns lassen, birgt das auch die Chance, den Menschen in seiner Einzigartigkeit und Normalität wirklich kennenzulernen.
In Schweden wird es ab April 2015 in Form des Personalpronomens „hen“ für „es“ jetzt ganz offiziell das dritte Geschlecht geben. Der Begriff existiert bereits seit den Sechzigerjahren, als man versuchte, die ähnlich dem Deutschen überwiegend männlich geprägte Sprache zu entchauvinisieren. Aber erst in den letzten fünfzehn Jahren ist der Begriff in den Sprachgebrauch übergegangen und wird laut Spiegel in Medientexten, offiziellen Schriftstücken und sogar Gerichtsurteilen verwendet. Warum machen wir das nicht auch so, ganz offiziell?
Was aus der Frau von damals geworden ist, weiß ich heute nicht. Vielleicht liebt sie ihren Freund noch immer. Vielleicht liegt sie wieder in den Armen einer Frau. Das ist auch nicht wichtig. Ich habe sie damals wegen unserer intensiven Gespräche sehr geschätzt. Und sie hat mich zum Nachdenken gebracht. Danke dafür.
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