Freud und der Mythos vom vaginalen Orgasmus

Dass die Erde keine Scheibe ist, wissen wir schon lange. Damals war es allerdings sehr schwer, die Menschen von diesem neuen Weltbild zu überzeugen. Und ich habe irgendwo gelesen, dass es auch heute noch Menschen gäbe, die das immer noch nicht wissen. Schwer vorstellbar, ich weiß. Aber wenn einem Menschen Bildung und auch der Zugang zu modernen Medien fehlt und er nie aus seiner Welt herauskommt, sieht die Erde vielleicht tatsächlich wie eine Scheibe aus. Auch in der Sexualität gibt es Mythen, die wir einfach übernehmen. Und wenn wir diese nicht hinterfragen, kann es sein, dass wir dabei einer scheinbaren Realität hinterherhecheln, deren Ideale wir nie erreichen werden. Wie beim Mythos vom vaginalen Orgasmus. Woher kommt der eigentlich und ist da überhaupt etwas dran?

Der vaginale Orgasmus ist das uralte Schreckgespenst der Sexualität

Es ist jetzt wirklich schon verdammt lang her, dass der Psychoanalytiker Sigmund Freud behauptete, nur der vaginale Orgasmus sei ein wahrer Orgasmus. Der klitorale, also der durch die manuelle oder orale Stimulation des sichtbaren Teils der Klitoris hervorgerufene, sei ein unreifer Orgasmus, einer erwachsenen und verheirateten Frau nicht würdig. Vielleicht hat er das ja nur behauptet, um den Mann bei der Suche nach unserer kleinen Lustperle zu entlasten. Denn möchte man einen „klitoralen“ Orgasmus hervorrufen, muss man die Klitoris ja erst einmal finden und wissen, was man mit ihr machen soll. Mit beidem tut sich so mancher Mann bis heute schwer.

Da mag es aus Freuds Sicht natürlich umso einfacher erschienen sein, alles auf die Frau zu schieben. Wenn die nicht kommt, ist es ganz einfach ihre Schuld. Der Mann gibt bei der Penetration schließlich sein Bestes, also kann es an ihm ja nicht liegen. Außerdem wäre es doch toll, müsste er sich nicht zusätzlich anstrengen, um seiner Partnerin Lustschreie zu entlocken. Gut, Freud ist schon lange tot. Und eigentlich war er sogar recht fortschrittlich, denn er hat den weiblichen Orgasmus immerhin als solchen erkannt. Den gab es nämlich bis dahin offiziell gar nicht. Trotzdem hat sich diese Sicht der Dinge ganz ohne böse Absicht leider in so manchem Kopf bis heute verfestigt und sorgt dort für allerlei Ungemach.

Eine hohe Erwartungshaltung sorgt für viel Druck

Mittlerweile hat sich einiges geändert. Der Orgasmus der Frau hat einen festen Stellenwert in der gemeinschaftlichen Sexualität. Und immerhin sollte heute auch allgemein bekannt sein, dass die Klitoris dabei im Mittelpunkt steht und in den allermeisten Fällen besondere Beachtung beim Liebesspiel verdient. Sollte. Ist es aber nicht. Die Erwartungshaltung des Mannes an die Partnerin und die der Frau an sich selbst ist deshalb oft hoch. Und noch immer verzweifeln Paare an der Aufgabe, durch das reine Rein und Raus zum Höhepunkt zu kommen – im besten Falle auch noch gleichzeitig.

Zugegeben, zuweilen klappt das ja auch und dann ist das großartig. Aber weil diese Form des Höhepunktes auch heute noch viel zu oft als die einzig wahre angesehen wird, lassen alle Paare, denen dies nicht gelingt, traurig den Kopf hängen. So manche Frau bemerkt nicht einmal, dass sie voll orgasmusfähig ist, weil sie denkt, sie müsse sich dabei doch etwas in ihre Vagina einführen. Das kennen wir ja schließlich so auch aus dem Porno. Da wird immer etwas eingeführt und Frauen wie Männer kommen immer zum Orgasmus. Mehrfach und gern auch gleichzeitig. Ganz ohne Klitoris.

Das Problem mit dem vaginalen Orgasmus ist eines der meistgenannten in der Sexualberatung. Beide Partner denken, an ihnen sei etwas falsch. Frauen setzen sich unter Druck, weil sie ihrem Partner zeigen möchten, wie gut er es ihnen besorgt. Auf der anderen Seite werden sie von ihren Partnern bewusst oder unbewusst unter Druck gesetzt. „Du liebst mich doch, warum kommst du dann nicht?“ „Du bist gar nicht richtig bei der Sache, sonst müsste es doch klappen. „Du lässt Dich gar nicht richtig auf mich ein.“ Und natürlich setzen sich Männer auch selber unter Druck und glauben nicht selten, es mangele ihnen an Penisgröße oder –dicke. Letztendlich sind beide mit der Situation unglücklich. Dabei könnte alles so schön sein! Und jede Voraussetzung dafür ist gegeben, wäre da nicht dieser eigene Anspruch.

Die Erde ist eine Kugel und die Klitoris der Mittelpunkt des weiblichen Orgasmus

Was fehlt? Aufklärung!!! Ich bin sicher, wir werden das auch in diesem Fall irgendwann schaffen. Der vaginale Orgasmus ist ein Mythos und ein Ideal, mit dem wir uns selber Steine in den Weg legen. Es gibt Frauen, die können durch die Penetration zum Orgasmus gelangen und vielen Frauen gefällt es auch, wenn sie selber etwas in ihre Vagina einführen. Aber verantwortlich für jeden Orgasmus ist die Klitoris. Die zieht sich zwar mit ihren beiden Schenkeln in die Vagina hinein und umschließt auch den Scheideneingang. In den allermeisten Fällen brauchen Frauen aber eine direkte oder indirekte Stimulation der hochempfindlichen Klitoriseichel. Hier befindet sich mit 8000 Nervenenden der absolute Höhepunkt der sexuellen Empfindsamkeit. Und es lohnt sich wirklich, dort einmal genau hinzuschauen und herauszufinden, welche Berührungen die richtigen sind.

Veröffentlicht auf: https://www.orion.de/blog/freud-und-der-sex-mythos-vom-vaginalen-orgasmus/

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