Langjährige Beziehungspartner*innen kennen das: Zuerst fallen wir ständig übereinander her und irgendwann stellt wir fest, dass das letzte Mal schon verdammt lang her ist. Statistiken darüber, wie oft wir es in welchem Lebensalter und nach soundsovielen Jahren Beziehung treiben, gibt es viele. Ich könnte an dieser Stelle einige zitieren. Aber wie hilft uns das weiter? Denn wie heißt es so schön: „Traue nie einer Statistik, die du nicht selber gefälscht hast.“ Schauen wir uns die Statistiken genauer an, stellen wir fest, dass sie auch jede Menge Fragen aufwerfen. Ein Beispiel soll hier zur Verdeutlichung aufgeführt werden. Eine Studie der Universität Landau trifft die Aussage, dass die Deutschen nur einmal im Monat Sex haben. Welche Deutschen? Alte? Junge? Singles? Paare? Paare mit Kindern? Paare mit vielen Kindern?
Womöglich denkt Ihr jetzt „Wow, wenn ich doch wenigstens ein einziges Mal im Monat Sex hätte!“ Oder Ihr gehört zu denjenigen, die tatsächlich gerade ständig miteinander oder mit wechselnden Partner*innen im Bett landen. Generelle Aussagen oder womöglich Vorhersagen können wir also nicht treffen. Es gibt nur Tendenzen. Und die sagen, dass es ganz normal ist, wenn der Sex weniger wird. Oder sogar ganz einschläft. Die Frage ist also vielmehr, ob wir damit zufrieden sind – dann ist alles gut -, oder ob wir es nicht sind. Dann sollten wir etwas dagegen unternehmen. Und genau das hat die Bloggerin Brittany Gibbons getan. Sie hatte sich dazu entschlossen, ein Jahr lang jeden Tag mit ihrem Mann Sex zu haben. Sex nach Programm, funktioniert das?
Als ein TV-Sender vor ein paar Jahren das Format „7 Tage Sex“ ins Leben rief, war ich regelrecht erbost und stemmte die Arme in die Seiten. Die vorgestellten Paare sollten eine Woche lang jeden Tag Sex haben. Wie soll denn das eine Beziehung retten? Schließlich hatte ich gleich den Worst case vor Augen (das geht mir häufiger so…). Und wenn ein Paar in ernsthaften Schwierigkeiten steckt, ist das meiner Meinung nach tatsächlich eher kontraproduktiv. Da sollten erst einmal die Differenzen geklärt werden, bevor es in die Kiste geht. Aber das war in diesem Format gar nicht das Problem. Eigentlich sollte nur das Liebesleben angekurbelt werden. Dafür hatte man sich vermutlich keine Problempaare ins Haus geholt. Bleibt trotzdem die Frage, ob das hilft. Denn der Sex schläft ja nicht ohne Grund ein. Stress, Kinder, Krankheiten, Beziehungslangeweile, Lustlosigkeit, sexuelle Probleme. Wer nicht über seine oder ihre Bedürfnisse redet, hat irgendwann keine Lust mehr. Wer erst einmal keinen hochbekommen hat, vermeidet Sex aus Angst vor Wiederholungen. Da hilft auch diese Sexverordnung nicht.
Auch wer sich in seinem oder ihrem Körper nicht wohlfühlt, legt ein ebensolches Vermeidungsverhalten an den Tag. Ich kannte einmal eine Frau, die hat vor dem Spiegel ausprobiert, wie sie beim Sex in verschiedenen Stellungen aussieht. Sie hatte einen fantastischen Körper. Nur fehlte ihr das nötige Selbstbewusstsein. Und ich vermute stark, das war kein Einzelfall. Auch Blanche von den Golden Girls sagt in einer Folge, dass Frauen lieber auf dem Rücken liegen sollten. Denn dann schlägt das Gesicht keine Falten. Und irgendetwas ist noch mit dem Busen, das habe ich vergessen. Wir sind so sehr mit unseren vermeintlichen körperlichen Defiziten beschäftigt, dass wir ganz vergessen, wie viel Spaß Sex machen kann und wie gut er uns tut.
Und an dieser Stelle hat sich Brittany Gibbons die Sexkur verordnet. Nach der Geburt ihres dritten Kindes konnte sie sich nicht mehr im Spiegel sehen. Und sie zeigte sich auch ihrem Mann nicht mehr nackt. Der Sex wurde zur Seltenheit und wenn dann auch nur im fast Dunkeln. Der fehlende Sex hatte also weniger mit der Beziehung, dem Stress oder sexuellen Probleme zu tun. Es ging vor allem um sie und um ihr Selbstvertrauen. Anstatt sich nun herunter zu hungern, kam Brittany auf eine andere und auch viel bessere Idee: Sie wollte ein Jahr lang jeden Tag Sex mit ihrem Mann haben. Und das Paar hat das tatsächlich durchgezogen. Brittany sagte anschließend, dass das natürlich auch anstrengend gewesen sei. Doch dies sei die einzige Möglichkeit gewesen, um sich ihrer fehlenden Selbstliebe zu stellen und ihre Selbstzweifel zu überwinden.
Hilft das nun, ein Jahr lang jeden Tag Sex zu haben? Ja. Nein. Keine Ahnung. Bei Brittany Gibbons hat es geholfen. Nicht zuletzt deswegen, weil sich die beiden irgendwann von ihren Wünschen, Fantasien und Sehnsüchten erzählt haben. Wer solch ein Vorhaben startet, braucht zwangsläufig neue Ideen, um nicht beim Sex vor Langeweile einzuschlafen. Sich dem Partner oder der Partnerin zu offenbaren, erfordert Mut. Wir müssen für uns selber einstehen. Das ist nicht bedürftig sondern eben mutig. Und Mut stärkt schon einmal unser Selbstvertrauen. Denn nicht immer wissen wir, wie der andere oder die andere darauf reagieren wird. Es erfordert auch erst einmal, sich überhaupt mit der eigenen Sexualität auseinanderzusetzen. Zu wissen, was wir wollen und genau das einzufordern, stärkt ebenfalls unser Selbstvertrauen. Viel zu oft erwarten gerade Frauen, dass Männer selber herausfinden müssten, was ihnen gefällt.
Und Männer haben womöglich Angst, mit ihren Wünschen zu übermächtig zu wirken und Frauen damit zu verschrecken. So geht das aber nicht, dazu ist unsere Sexualität zu komplex. Am Ende vom Partner das zu bekommen, was wir uns wirklich wünschen, ist toll. Und es schweißt uns zusammen. Dann sind die vielen kleinen Unzulänglichkeiten endlich nicht mehr wichtig. Denn darum geht es gar nicht. Ein Jahr lang jeden Tag Sex zu haben, war in diesem Fall sozusagen eine Desensibilisierungskur. Solltet Ihr Euch in einer ähnlichen Situation befinden, dann nur zu! Aber nicht gleich aufgeben nach ein paar Tagen! Für alle, die meinen, Sex als sportliche Betätigung betrachten zu können: Brittany hat kein Gramm abgenommen, arbeitet dafür jetzt aber als Plussize-Model.
Veröffentlicht auf https://www.orion.de/blog/ein-jahr-lang-jeden-tag-sex-fuer-mehr-selbstbewusstsein/