Kein Zoff an Weihnachten! Handwerkszeug für willige Paare

Weihnachten steht vor der Tür. Beide haben die Erwartung, dass dieses Fest ganz besonders schön werden soll. Sie haben sich den Tag vorher frei genommen, um die Wohnung noch auf Vordermann zu bringen und gemeinsam die geplanten Einkäufe zu besorgen. Und da geht es schon los. Wie aus dem Nichts fängt sie an, ihn zu kritisieren. Weil alles so besonders schön werden soll, möchte sie Champagner kaufen. Er hat allerdings das Preisschild vor Augen und meint, ein Prosecco würde es auch tun. Warum er immer so geizig sei, herrscht sie ihn an. Es sei doch schließlich für sie beide. Für dieses ganz besondere Weihnachtsfest. „Du bist immer so vernünftig. Sei doch mal locker!“ Er schließt die Augen, verschränkt die Arme vor der Brust und fragt sich, wie das jetzt wohl weitergeht. Um der Harmonie willen sagt er nichts. Aber es brodelt schon wieder in ihm. Und an Heiligabend, als er feststellt, dass sie seine Wünsche bei der Geschenkauswahl wieder einmal nicht berücksichtigt hat, platzt ihm der Kragen. Statt zu einem Fest der Liebe entwickelt sich dieses Weihnachten zu einem handfesten Gemetzel. Gegenseitige Vorwürfe und Verletzungen führen dazu, dass sie sich ernsthaft mit dem Gedanken an eine Trennung auseinandersetzen.

5:1 – Lässt sich die Liebe berechnen?

Obwohl ich mir diese kleine Geschichte ausgedacht habe, könnte sie genau so oder ähnlich auch tatsächlich stattfinden. Und es kann sehr gut sein, dass Ihr diese Erfahrung bereits gemacht habt. Weihnachten und Sommerferien sind ernsthafte Beziehungskiller. Die Erwartungen sind hoch, man verbringt ungewöhnlich viel Zeit miteinander und wenn dann nicht alles nach Plan verläuft, kann es schnell eskalieren. Man geht sich gegenseitig auf die Nerven, jede kleinste Gewohnheit und jede Macke am anderen fallen ganz besonders auf. Nettigkeiten stehen ganz unten auf der Tagesliste. Jetzt muss alles raus. Und irgendwann platzt dem einen oder der anderen eben der Kragen. So ein Streit entbehrt jeder Sachlichkeit und am Ende bleiben zwei verletzte und gekränkte Seelen zurück. Es muss jedoch gar nicht so weit kommen, wenn Ihr wisst, auf welche Zeichen Ihr achten müsst. Denn dann könnt Ihr rechtzeitig Euer Verhalten ändern.

Der amerikanische Psychologe und Mathematiker John Gottman hat Paare in ihrem Streitverhalten ganz genau beobachtet. Daraus hat er eine Methode entwickelt, mit der er laut eigener Aussage mit 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit vorhersagen kann, ob ein Paar die nächsten vier bis sechs Jahre überstehen wird oder nicht. Nun könnt Ihr Euch echauffieren und behaupten, dass Ihr Euch nicht so leicht in die Karten schauen lasst und schon gar nicht lasst Ihr Euer Liebesleben auf eine Formel herunterbrechen. Gottmans Kollegen sahen das in der Anfangszeit seiner Forschungen übrigens genauso. Etwas so Kompliziertes wie die Liebe könne man doch nicht in Formeln pressen. Nun, man kann es offensichtlich doch. Mittlerweile gehört der 75-Jährige Beziehungsforscher zu den einflussreichsten Beziehungsforschern der Welt.

Anhand von Psychologie und Mathematik hat Gottman seine Formel erstellt, für die er berühmt geworden ist: The magic 5:1 ratio. Das magische Verhältnis 5:1. Dahinter versteckt sich, dass fünf positive erlebte Momente einem einzigen negativen Moment gegenüberstehen können, ohne dass eine Beziehung in Gefahr gerät. Ein Paar, das in diesem Verhältnis kommuniziert, ist glücklich. Denn positive Kommentare stärken das Selbstwert- und auch das Zusammengehörigkeitsgefühl. Fünfmal etwas Nettes sagen und auch meinen, einmal streiten. Alles gut. Erst wenn das Verhältnis kippt und es genauso viele oder sogar mehr negative als positive Momente gibt, wird ein Paar unglücklich bis hin zur Trennung.

Die vier apokalyptischen Reiter des John Gottman

Nicht alle negativen Momente sind gleich gefährlich. Das wäre ja auch zu einfach. Die Sache ist komplizierter. Und so hat Gottman die vier apokalyptischen Reiter benannt, die vier Momente, die einer Beziehung den Garaus machen. Die ersten zwei bedingen sich meist gegenseitig und schaukeln jeden Streit hoch.

1. Kritik

Die Kritik finden wir in dem Beispiel oben an erster Stelle. Sie kritisiert ihn, indem sie ihm vorwirft, geizig zu sein. Und wer kritisiert wird, fühlt sich angegriffen. Wir neigen sehr schnell zu dieser Form des Angriffs. Dabei setzt sie mit der Generalisierung „immer“ noch einen drauf. „Du bist immer so …“ Da kann der oder die andere kaum noch etwas entgegnen. Zudem kommt das Gefühl auf, grundsätzlich falsch zu sein. Das ist das Gegenteil von sich wohlfühlen und fallenlassen in einer Beziehung. Wenn wir den anderen wirklich erreichen und nicht nur herunter machen möchten, sollten wir in Ich-Botschaften sprechen. Statt „Du bist so geizig“ könnte sie lieber sagen: „Ich finde es gut, dass du unsere Ausgaben im Auge hast. Das ist auch wichtig. Aber unsere Finanzen sehen gut aus und vielleicht kannst du das für unser Weihnachtsfest einmal hinten anstellen.“ Das nimmt der Kritik den Wind aus den Segeln und lässt ihm den Raum, darüber nachzudenken und einzulenken.

2. Verteidigung

Wer sich angegriffen fühlt, rutscht schnell in die Verteidigung. In unserem Fall schweigt er erst einmal und entzieht ihr damit den Boden für weitere Vorwürfe. Ginge er jetzt jedoch in die Verteidigung, würde sich der Streit hier vermutlich schon weiter entwickeln. Denn die Verteidigung besteht zumeist aus einem defensiven Angriff. „Dir scheint das ja auch völlig egal zu sein mit deiner verschwenderischen Art.“ Auge um Auge, Zahn um Zahn. Auf Kritik folgt Gegenkritik und auch die hat es in sich. Nun sind auf beiden Seiten die Krallen ausgefahren und die Nackenhaare aufgestellt. Wer mit Argumenten nicht mehr weiter weiß, wird persönlich. Und wo sind wir verletzlicher als in unserer Sexualität? „Du hast ja sowieso nie Lust …“ Da gibt es dann auch kein Entkommen mehr. Wer also in die Kritikfalle tappt und sich selbst dabei erwischt, hat die Chance, die Segel selber sofort herumzureißen. Deeskalation heißt das Zauberwort. In dem Fall unserer Frau von oben könnte das bedeuten: „Entschuldige, vielleicht übertreibe ich gerade wirklich etwas. Aber lass uns doch Weihnachten einmal nicht auf Geld schauen.“

3. Rückzug

Das ist das, was unser Mann in dem Beispiel macht. Er reagiert gar nicht erst, zieht sich zurück und wartet ab, was noch kommt. Er macht dicht. Es sind übrigens überwiegend Männer, die sich auf diese Weise entziehen. Raus aus dem Streit, aber auch aus der Beziehung. Warum reagiert er auf diese Weise? Vielleicht hat er die Erfahrung gemacht, nicht mehr zu ihr durchzudringen. Vielleicht will er sich auch vor neuen Verletzungen schützen. Oder sie geht ihm einfach nur auf die Nerven mit ihrer Art. Sie wiederum fühlt sich dadurch noch mehr aufgestachelt, weil sie sich nicht beachtet fühlt. Und so ist es ja auch. Er ignoriert sie.

Ähnliche Situationen kennt Ihr vielleicht aus Euren eigenen Beziehungen. Irgendwann hat man einfach keinen Bock mehr, sich mit bestimmten Themen auseinanderzusetzen. Sich dann zu entziehen, kann auch eine Machtdemonstration sein. „Du kannst mir gar nichts, ich lasse dich am ausgestreckten Arm verhungern.“ Das kann man so machen. Aber dieses Verhalten lässt keinen Spielraum für Gespräche. Besser ist es, sich bewusst Zeit zu nehmen für Gespräche. Denn oft hat sich längst ganz anderer Ballst angesammelt, der sich in solchen Situationen Bahn bricht. Und das muss auch zwischendurch auf den Tisch. Paare reden allerdings viel zu wenig miteinander. Oder findet Ihr acht Minuten am Tag ausreichend? Und schon gar nicht reden sie miteinander übereinander. Das könnt Ihr ändern! Jetzt gleich?

4. Verachtung

Gehen wir noch einmal zurück in den Supermarkt. Sie kritisiert ihn, er reagiert mit Rückzug. Aber womöglich rollt er auch mit den Augen, redet leise vor sich hin oder macht abfällige Bemerkungen. Damit wird es ganz böse. Denn er zeigt ganz offen Abneigung. Und zwar absichtlich. Das gleiche Gefühl kann mit Türenknallen oder Unterbrechungen mitten im Satz erzeugt werden. Augenrollen oder Nachäffen an sich sind nicht schlimm, wenn sie innerhalb des normalen Umgangs dazu dienen, den Partner oder die Partnerin liebevoll zu necken. Wenn dies jedoch in einer ohnehin aufgeheizten Situation geschieht, sollten die Alarmglocken schrillen. Dasselbe gilt für abfällige Bemerkungen, die wir absichtlich zum Verletzen einsetzen. In unserem Beispiel könnte das sein: „Wenn du mal etwas mehr Maß halten könntest, würden dir auch noch deine Kleider vom letzten Jahr passen.“ Wie können wir aus der Situation wieder herauskommen? Indem wir uns sofort für derartige Fiesitäten entschuldigen. Das erfordert natürlich, dass es uns das wert ist. Und genau darüber sollten wir nachdenken.

Ihr habt es selber in der Hand

Denkt an den Feiertagen einmal an das magische 5:1-Verhältnis und an die vier apokalyptischen Reiter. Dann habt Ihr die Möglichkeit, selbstbestimmt größere Krisen und Eskalationen zu vermeiden. Ihr könnt diesen Beitrag auch jetzt gleich mit Eurer Liebsten oder Eurem Liebsten lesen und darüber sprechen, was Ihr für umsetzbar haltet und was nicht. Damit seid Ihr auf jeden Fall schon einmal im Gespräch. Umgekehrt bedeutet die 5:1 Formel übrigens auch, dass wir für jeden negativen Kommentar fünf Wiedergutmachungen brauchen. Was könnt Ihr konkret unternehmen? Einen wertschätzenden Umgang miteinander pflegen und aufmerksam dem Partner oder der Partnerin gegenüber sein. Die Aussage „Solange ich nichts Negatives sage, passt schon alles“ könnt Ihr damit über Bord werfen.

Ganz im Gegenteil könnt Ihr Euch ab jetzt gegenseitig so oft es geht sagen, was gerade gut läuft, was ihr am anderen mögt und was Euch besonders glücklich macht. Das bedeutet ja nicht, dass Ihr es übertreiben und alles in jeden Tag packen sollt. Und selbst wenn Ihr es maßlos übertreibt, habt Ihr einen Grund mehr, miteinander darüber zu lachen. Und Lachen ist großartig! Diese langfristige positive Bestärkung hilft nicht nur dem Partner oder der Partnerin. Ihr macht Euch damit auch selber bewusst, wofür Ihr Euren Partner oder Eure Partnerin liebt und was alles gut an Eurer Beziehung und an Eurem gemeinsamen Leben ist. Und an dieser Stelle wünsche ich Euch allen frohe, erotische und besinnliche Feiertage und einen Wahnsinnsrutsch ins neue Jahr!

Veröffentlicht auf: https://www.orion.de/blog/glueckliche-beziehung-5-zu-1-formel/

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