Da gab’s noch nie – Sex-Seminar bei der Bundeswehr

Das war die Überschrift der Bildzeitung, die ich beim Brötchenholen gar nicht übersehen konnte. Ein Sex-Seminar bei der Bundeswehr??? Mein erster Gedanke war klar: Eine Gruppe nackter, schwitzender, durchtrainierter, stahlharter, testosteronstrotzender Soldaten, die … Ich schweife ab, habe wohl zu viele Filme geguckt. Ich war ja nie bei der Bundeswehr und hatte kurzfristig vergessen, dass sich dort mittlerweile auch ziemlich viele Frauen tummeln. Neugierig suchte ich dann im Internet nach der Schlagzeile. Und na klar, NATÜRLICH gibt es kein Sex-Seminar bei der Bundeswehr. Und es macht sich auch niemand nackig. Das hätte mich auch gewundert. Unsere Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen plant am 31. Januar 2017 einen Workshop zum Thema „Umgang mit sexueller Identität und Orientierung in der Bundeswehr“. Sie selber wird höchstpersönlich zusammen mit dem Wehrbeauftragten, dem Generalinspekteur und einem Sexualtherapeuten, der bereits transsexuelle Menschen innerhalb der Bundeswehr betreut, die Durchführung übernehmen. Das ist dann doch etwas anderes. Diesen Workshop gibt es auch nicht für den gemeinen Soldaten sondern nur für die Parlamentarier, den Beirat Innere Führung der Bundeswehr sowie die Chefs der Teilstreitkräfte und soll über diese weiter verbreitet werden. Immerhin, es ist ein Anfang.

Die Alltäglichkeit sexueller Belästigung bei der Bundeswehr

Einen Tag nach der Ankündigung des Seminars hagelte es harsche Kritik. Es gebe bei der Bundeswehr wohl dringendere Angelegenheiten in Zeiten des Terrors und gefährlicher Auslandseinsätze als „ein randständiger Workshop“, so der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold. Ja, das stimmt sicherlich. Aber die Bundeswehr hat eine unverzichtbare Ressource, und das ist der Mensch. Diese Menschen müssen gerade in Krisensituationen angemessen reagieren können, dürfen nicht von Diskriminierung und Benachteiligung seelisch angegriffen sein. Aber an dieser Stelle hat die Bundeswehr offensichtlich ein Problem, denn sexuelle Diskriminierungen scheinen an der Tagesordnung zu stehen. 55 Prozent der weiblichen Soldaten haben in einer internen Studie von 2011 ausgesagt, schon einmal sexuell belästigt worden zu sein. Da mag ich mir gar nicht ausmalen, wie es Menschen mit einer anderen sexuellen Orientierung oder Identität gehen mag. Wenn ich das richtig verstanden habe, wurde diese Studie im Gegensatz zu der vorhergehenden in dieser Hinsicht sogar noch vereinfacht. Am Ende sind die Zahlen in Wirklichkeit noch viel schlechter. Was hat die Bundeswehr getan? Nachgefragt, ob es in anderen Unternehmen nicht auch so zugeht. Und ja, tut es. Aber macht es das besser?

Die Bundeswehr ist ein gigantischer Arbeitgeber, für den im Dezember 2016 immerhin 177.308 aktive Soldaten und Soldatinnen tätig waren. Darunter sind laut dem Verteidigungsministerium rund 17.000 Homosexuelle, Bisexuelle und Transsexuelle, somit 6,6 Prozent. Und das allein sind schon ziemlich viele Menschen, wenngleich nur diejenigen, die sich offiziell geoutet haben. Ich wüsste auch nicht, warum jemand beim Job seine oder ihre sexuelle Orientierung angeben sollen müsste. Zudem haben wir in Deutschland ein Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, das Benachteiligungen aus Gründen der Rasse, der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität verhindern und beseitigen soll. Wenn die Umsetzung dieses Gesetzes in Unternehmen nicht von allein klappt, und das ist häufig der Fall, dann wird Unterstützung angefordert. Dafür gibt es Sonderbeauftragte, Workshops oder E-Learningprogramme.

Was bedeuten sexuelle Identität und sexuelle Orientierung?

Keine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität, heißt es im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz. Um genau diese sexuelle Identität geht es im geplanten Workshop bei der Bundeswehr. Zur Begriffsklärung: Die sexuelle Identität betrifft unser Innerstes, denn sie basiert auf unserem biologischen Geschlecht als Frau oder als Mann. Und sie hängt mit der Frage zusammen, wie ich mich als Frau oder als Mann definiere und wie andere mich wahrnehmen sollen. Wie weiblich oder männlich fühle ich mich? Was erwartet die Gesellschaft von mir, wie soll ich mich als Frau oder als Mann verhalten? Was bedeutet Mannsein oder Frausein für einen Soldaten oder eine Soldatin? Menschen, die sich mit ihrem biologischen und sozial zugewiesenen Geschlecht wenig oder gar nicht identifizieren können, bezeichnen sich als Transgender.

Die sexuelle Orientierung ist der nach außen gerichtete Teil der sexuellen Identität. Damit ist das Geschlecht gemeint, zu dem sich ein Mensch hingezogen fühlt. Heterosexuell für das jeweils gegenteilige Geschlecht, homosexuell für das gleiche Geschlecht und bisexuell für beide. Damit ist jedoch noch keine Aussage darüber getroffen, ob dieser Mensch überhaupt sexuell aktiv ist. Und das bedeutet auch nicht, dass jedes Exemplar des angepeilten Geschlechts attraktiv auf diesen Menschen wirkt. Darüber machen sich ja viele Sorgen. Aber nur, weil ein Mann schwul ist, heißt das nicht, dass er JEDEN Mann sexuell begehrt. Die wenigsten heterosexuellen Männer begehren JEDE Frau. Das nur einmal nebenbei.

Auch die Bundeswehr muss sich den gesellschaftlichen Verhältnissen anpassen

Heute geraten die Geschlechterrollen zusehends durcheinander. Es gibt nicht mehr DEN Mann und DIE Frau. Stattdessen gibt es immer mehr Menschen, die sich dazwischen befinden. Wir leben in einem Kontinuum zwischen weiblich und männlich. Das eröffnet uns viele Möglichkeiten, kann aber auch Ängste auslösen. Und es muss erst einmal in den Köpfen ankommen. Nicht nur in traditionellen Männerbünden wie der Bundeswehr oder dem Fußball wird das noch eine ganze Weile dauern. Soldaten scheinen ein relativ klares Bild davon zu haben, wie sie sich als Männer definieren. Sie müssen eben Männer sein, stark sein, hart sein. Dann kommen die Frauen und wollen in dieselben Positionen. Viele Soldaten glauben, Frauen seien den Aufgaben schon körperlich nicht gewachsen. Aber was bedeutet es für das eigene Mannsein, wenn sie es doch schaffen? Das kann die Männlichkeit schon ins Wanken bringen. Dazu kommen noch die Menschen mit einer anderen sexuellen Orientierung oder Transsexuelle. Von Schwarzweiß keine Spur mehr. Von der Leyen hat es sich auf die Fahne geschrieben, die Verhältnisse zu ändern. Wenn die Bundeswehr ein attraktiver und gerechter Arbeitsgeber sein möchte für alle Menschen, dann wird es höchste Eisenbahn für ein großflächiges Umdenken! Dann braucht die Bundeswehr viel mehr solcher Seminare, um über die Vielfalt der menschlichen Existenz aufzuklären!

Veröffentlicht auf https://www.orion.de/blog/da-gabs-noch-nie-sex-seminar-bei-der-bundeswehr/

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