Wer ist für euch schön? Angelina Jolie, die Mona Lisa, die Mädels von Germanys Next Topmodel (GNTM), eure Liebste? Erstaunlicherweise fallen mir gerade nur Frauen ein. Aber das ist auch gar nicht verwunderlich. Hat Schönheit doch für Frauen eine viel größere Bedeutung als für Männer. Nicht, dass nicht auch Männer attraktiv sind oder es sein wollen. Aber sie verschaffen sich oft über andere Attribute wie Macht, Reichtum oder Ausstrahlung Aufmerksamkeit. Frauen werden sehr häufig nach ihrem reinen Aussehen beurteilt, ohne ihre weiteren Qualitäten dabei zu berücksichtigen. Da brauchen wir nur einmal in die Medien zu schauen. Wie wurde insbesondere am Beginn ihrer Amtszeit auf Angela Merkels Frisur, Make up und Outfit herumgehackt? Wie oft werden Frauen im Netz statt mit Argumenten mit gehässigen Bemerkungen über ihr Aussehen angegriffen? Und das beileibe nicht nur von Männern. Aber was ist Schönheit eigentlich? Worauf begründet sie sich? Und kommt wahre Schönheit wirklich von innen?
Was wir als schön empfinden, ist universell und doch gleichzeitig auch sehr individuell geprägt. Schon seit Menschengedenken zerbrechen sich die Denker die Köpfe über der Frage, ob es eine objektive Schönheit gibt. Die antiken Griechen erfanden den Goldenen Schnitt, der auch als Phi oder göttliche Proportion bezeichnet wird. Bis ich das Prinzip des Goldenen Schnitts endlich verstanden hatte, musste ich meine Gehirnwindungen zum Glühen bringen. Jetzt weiß es es und weiß trotzdem nicht so recht, was ich damit anfangen soll. Zahlen- und Längenverhältnisse bestimmen demnach, wer schön ist und wer nicht. Wer über den richtigen Augenabstand und Augen zu Mund-Abstand verfügt, kann wissenschaftlich betrachtet mit einem perfekten Gesicht aufwarten. Allerdings stellte sich auch heraus, dass dieses perfekte Gesicht gleichzeitig ein Allerweltsgesicht ist, das man auch erhält, wenn man viele Gesichter übereinander legt. Schön, aber alltäglich. Rein objektive Perfektion ist also doch nicht alles, wenn es um wahre Schönheit geht.
Dass sich Schönheit tatsächlich nicht auf objektive Parameter reduzieren lässt, wird besonders deutlich, wenn wir uns die unterschiedlichen Schönheitsideale in verschiedenen Kulturen und Epochen anschauen. Bei uns heute gilt die schlanke bis dürre Figur als erstrebenswert und schön. Im Nationalsozialismus schien in Deutschland die athletische Figur für Gesundheit und Vitalität zu stehen und fand dementsprechend Bewunderung. In einigen afrikanischen Kulturen finden wir den Wunsch nach deutlich mehr Fülligkeit. Dort werden die Mädels von GNTM keine Bewunderer finden. Und bei einem Blick auf die Rubensengel können wir wohl getrost die Feststellung treffen, dass dies auch in der Renaissance nicht anders gewesen wäre. Hier allerdings waren zur üppigen Hüfte kleine Brüste angesagt. Das wäre ja sonst auch zu einfach gewesen…. In jener Zeit zupften sich übrigens die Damen der Gesellschaft die Kopfhaare rund um die Stirn, so dass der Haaransatz deutlich nach hinten rückte. Das kann sich heute kein Mann vorstellen, der mit seinen Geheimratsecken kämpft. So wie sich also der gesellschaftliche Blick auf Schönheit entwickelt, verändert sich auch unser Blick auf die Menschen und unser Gefühl für Attraktivität.
Wie sehr wir bei unserem ganz persönlichen Schönheitsideal außerdem auch noch von Gefühlen geleitet werden, lässt sich gut am Beispiel frischgebackener Eltern zeigen. Fast jede Mutter ist entzückt von ihrem Neugeborenen. Dabei sind gerade so frisch geschlüpfte Babys doch noch schrumpelig und faltig und nicht im eigentlichen Sinne als schön zu bezeichnen. Und ich hoffe sehr, ich verärgere mit dieser Aussage nicht allzu viele Mütter und Väter. Was wir aber sehen, ist nicht nur der kleine Körper an sich. Wir tragen das Glück, die Liebe und die Fürsorge in unserem Blick. Und während sich so mancher Betrachter wünscht, dass sich das kleine Wesen doch bitte noch verändern möge, hält die Mutter selber es für das schönste Baby der Welt. Und das ist auch gut so. Schließlich brauchen die Kleinen die vorbehaltlose Liebe ihrer Eltern.
Schönheit liegt also durchaus im Auge des Betrachters. Denn so ähnlich wie mit dem Nachwuchs ist es auch mit den anderen Menschen, die wir lieben und bewundern. Richten wir unseren Blick wohlwollend auf unsere Mitmenschen anstatt sie auf reine Äußerlichkeiten zu reduzieren, werden wir unglaublich viel Schönheit in unendlich vielen Kleinigkeiten entdecken. Wir haben nur leider gelernt, alles kritisch zu betrachten und Handlungen ständig zu hinterfragen. Und das gilt auch für uns selber. Wir eifern irgendwelchen Idealen hinterher und versauen uns damit selber das Leben.
Und so kommt wahre Schönheit tatsächlich von innen. Und zwar aus unserem eigenen Inneren. Unser Blick geht über die nüchterne Betrachtung der realen Gegebenheiten hinaus. Wir sehen nicht nur die Linien im Gesicht, die Augenfarbe und die Form der Lippen, die Figur. Unser Blick enthält unsere kulturelle und gesellschaftliche Prägung. Aber vor allem enthält er unsere Liebe. Wenn ihr das nächste Mal in der Sonne sitzt und einen köstlichen Latte Macchiato oder einen kühlen Wein trinkt, dann betrachtet eure Umwelt bewusst durch diese Brille. Seht euch die Menschen wirklich wohlwollend an und sucht nach der Schönheit. Ich bin mir sicher, ihr werdet fündig. Und je mehr ihr sie bei anderen entdeckt, desto eher findet ihr diese wahre Schönheit auch in euch und in euren Liebsten.
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