Wie sich Depressionen auf die Lust auswirken

Wenn die Lebenslust verschwindet, bleibt davon auch die sexuelle Lust nicht verschont. Laut dem Bundesministerium für Gesundheit leiden Schätzungen zufolge circa 350 Millionen Menschen weltweit an einer Depression. Immer mehr Menschen sind betroffen und so geht man davon aus, dass die Depression bis zum Jahr 2020 wohl zur zweithäufigsten Volkskrankheit wird.

Trotz dieser erschreckend hohen Zahlen ist diese Erkrankung noch lange nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Ganz im Gegenteil stoßen die Betroffenen viel zu oft noch auf das Vorurteil, nicht stark genug oder einfach „schwierig“ zu sein. Ihnen werden im Freundes- und Familienkreis Spaziergänge oder Ratgeberbücher empfohlen und der Ratschlag erteilt, es doch alles nicht so schwarz zu sehen. Kein Wunder, dass viele Menschen ihre Erkrankung lieber für sich behalten und erst zum Art gehen, wenn womöglich schon Suizidgedanken aufgetaucht sind. Oder, wie es das Beispiel der Fußballer Robert Enke und Andreas Biermann zeigt, stillschweigend so lange versuchen durchzuhalten, bis sie keinen Ausweg mehr sehen.

So, und wer sich in einer solchen Situation befindet, und dabei muss es noch nicht einmal derart lebensbedrohlich sein, soll Spaß und Lust am Liebesleben haben? Schwer vorstellbar. Aber auch kein Thema für die Öffentlichkeit.

Wenn die Lebenslust schwindet

Eigentlich ist es ja gar nicht so schwer nachzuvollziehen, dass mit der Lebensfreude auch die Sexlust schwindet. Wenn die Welt grau aussieht und jeder Gang zur Qual wird, wenn man nachts nicht schlafen kann, sich die Gedanken im Kreis drehen, der Appetit schwindet, nichts mehr Spaß macht und sich womöglich die Freunde zurückziehen, dann bleibt auch für die Lust nichts mehr übrig. Wie soll man in dieser Hinsicht plötzlich wieder bunt sehen und die nötige Energie aufbringen?

Sexuelle Lust entsteht ja gerade aus der Lebenslust, aus der Neugier, aus dem Spaß am Genuss. Negative Gedanken hingegen führen dazu, dass die sexuelle Erregung gedämpft wird oder sogar ganz zum Erliegen kommt. Eine Beeinträchtigung des Hormonstoffwechsels kann ebenso zum Erliegen der Lust führen. Nicht zu vergessen die Medikamente, die viele Betroffene vom Arzt verschrieben bekommen. Und ich habe nicht die Erfahrung gemacht, dass mit den Patienten gern über diesen speziellen Bereich ihrer Erkrankung gesprochen wird.

Sexuelle Probleme können auch in die Depression führen

Nun haben wir es hier allerdings mit den zwei Seiten einer Medaille zu tun:

  • Die Depression vertreibt die Lust.
  • Andersherum können sexuelle Probleme in die Depression führen.

Auch letzteres ist gar nicht so ungewöhnlich. Es kann einen Mann schon zur Verzweiflung treiben und starke Selbstzweifeln auslösen, wenn der Penis immer weniger so will wie er soll. Das Selbstbewusstsein bekommt einen argen Knacks, die Lebenslust bewegt sich ins Abseits, die Stimmung sinkt ins Bodenlose. Es entsteht ein Leidensdruck. Die Depression nähert sich mit Meilenstiefeln, der Arbeitsausfall ist vorprogrammiert.

Das Gleiche gilt für Frauen. Bleibt der Orgasmus dauerhaft aus oder stellen sich langanhaltend Schmerzen beim Verkehr ein, kann sie ebenso an sich zu zweifeln wie er. Schließlich scheint es bei anderen doch auch zu klappen. Ihr Selbstbewusstsein als Frau beginnt zu kippen. Warum funktioniert sie nicht? Auch hier entsteht ein Leidensdruck. Dunkle Wolken ziehen auf. Die Krankschreibung scheint unausweichlich.

Das MUSS natürlich nicht so laufen. Mit etwas professioneller Unterstützung könnte über die Zusammenhänge aufgeklärt und der Druck von beiden genommen werden. Natürlich kann man sich darüber auch im Internet und in Büchern informieren. Aber es ist immer etwas ganz anderes, wenn man selbst betroffen ist. Dann sieht man den Wald vor lauter Bäumen tatsächlich nicht. Und da in den Medien und Ratgebern nun einmal fortwährende Lust und Funktionsfähigkeit gepredigt werden, ist es für die Betroffenen doppelt schwer, sich davon zu distanzieren.

Wir brauchen mehr Anlaufstellen für sexuelle Probleme

Deshalb wundert es mich zunehmend, dass sexuelle Probleme immer noch so stiefmütterlich behandelt werden. Zwar kann man allerorts in den Medien darüber lesen. Aber richtige Hilfe zu finden, ist schwierig.

  • Sexualtherapeuten sind noch nicht überall erreichbar und müssen bei sexuellen Problemen aus eigener Tasche bezahlt werden. Das Geld hat nicht jeder, zudem stellt sich ohnehin die Frage, wo man am Besten aufgehoben ist.
  • Viele Psychotherapeuten vermeiden das Thema genauso gern wie viele Ärzte, die sich für diese Probleme nicht zuständig fühlen.

Ich habe keine Zahlen, wie viele Menschen aufgrund von sexuellen Problemen arbeitsunfähig werden. Und man mag jetzt auch einwenden, dass die Krankenkassen nicht für sexuelle Lust und Befriedigung zuständig sind. Dem stimme ich zu. Aber wenn sexuelle Probleme zu seelischen Problemen führen und damit zu Beeinträchtigung der Arbeitskraft, entsteht ein gesamtwirtschaftlicher Schaden. Und wenn es erst einmal ums Geld geht, dann werden Sie geholfen …

Es wäre daher sinnvoll, auf der einen Seite mehr Aufklärung über den Zusammenhang von Depression und Lust anzubieten. Das würde die Betroffenen von dem Druck nach sexueller Erfüllung, der zusätzlich zur eigentlichen Problematik suggeriert wird, entlasten. Und zum anderen brauchen wir ein besseres Hilfesystem bei sexuellen Problemen, um dem Teufelskreis zur Depression zu entgehen.

Veröffentlicht auf orion.de

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