Orgasm-Gap: Wenn Frauen weniger kommen als Männer

Gleichberechtigung ist wunderbar, in Deutschland allerdings immer noch ein Wunschtraum. In einem Bericht des Weltwirtschaftsforums wurde vor kurzem aufgezeigt, dass es weltweit sogar Rückschritte gibt. Da Unternehmen vor allem auf Umsatzzahlen reagieren, möchte ich an dieser Stelle auf eine Aussage der Schweizer Bank UBS zurückgreifen: Die Weltwirtschaft würde um 12 Billionen US-Dollar anwachsen, sollte es bis 2025 zu einer tatsächlichen Gleichberechtigung kommen. Wenn das mal kein Anreiz ist! Soweit die wirtschaftliche Seite. Auch sexuell betrachtet herrscht ein klares Ungleichgewicht. Es ist kein Geheimnis, dass Männer beim Sex häufiger zum Höhepunkt kommen als Frauen. Dafür gibt es jetzt auch eine eigene Bezeichnung, den Orgasm-Gap. Frei übersetzt bedeutet das Orgasmuslücke.

Der Begriff wurde aus der Wirtschaft übernommen. Hier gibt es bereits den Gender Pay Gap, der „die Differenz des durchschnittlichen Bruttostundenverdienstes (ohne Sonderzahlungen) der Männer und Frauen im Verhältnis zum Bruttostundenverdienst der Männer“ bezeichnet. Und das sind im Schnitt immerhin glatte 21%. Aber ebenso wenig wie Frauen wegen ihres geringeren Einkommens auf die Straße gehen, verhält es sich auch mit dem Orgasmus. Und da ist das Verhältnis sogar noch viel unausgewogener. Ein Drittel erlebe nur jedes vierte Mal einen Höhepunkt, so die Wiener Ärztin und Sexualtherapeutin Dr. Elia Bragagna. Dies nun wird stillschweigend akzeptiert und sogar schöngeredet. Sex sei ja auch ohne Orgasmus wunderbar. Das kann er auch sein, wenn er tatsächlich so wunderbar ist. Und wenn der Orgasmus nicht das Maß aller Dinge wäre.

Sind wir ohne Orgasmus tatsächlich glücklich?

In einer Studie der Wiener Ärztin gaben 76 Prozent der befragten Frauen an, auch ohne Orgasmus glücklich zu sein. Demnach vermisst also nur jede vierte Frau dieses intensive und so überaus befriedigende Gefühl, in dem sich die durch Erregung aufgebaute sexuelle Energie entlädt. Wir sind allerdings ziemlich gut darin, uns selbst in die Tasche zu lügen. Zu behaupten, auch ohne Höhepunkt glücklich zu sein, ist einfacher als sich einzugestehen, dass da etwas Grundlegendes fehlt. Denn wenn wir wirklich so zufrieden wären, würden nicht 90 Prozent ihrem Partner einen Orgasmus vortäuschen. Das zumindest ergab eine Studie der Berliner Charité. Es gibt Frauen, die greifen nur einmal zu dieser Notlüge, andere praktizieren sie regelmäßig. Wenn aber, wie eine andere Studie mit 4000 Frauen ergab, nur 14 Prozent einen Orgasmus in der partnerschaftlichen Sexualität erreichen, bleibt ihnen ja fast nichts anderes übrig. Und warum? Der Orgasmus gilt immer noch als krönender Abschluss eines gelungenen Liebesspiels. Und das soll glücklich machen?

Natürlich stillt Sex auch unser Bedürfnis nach Liebe und Geborgenheit, nach Wärme und Bestätigung. Und das tut uns gut. Aber Sex ist doch noch ein wenig mehr als Kuscheln, oder? Schließlich geht es auch um Lust und Geilheit. Und dann einfach mittendrin aufzuhören, kann mehr als unbefriedigend sein. Deshalb behaupte ich, dass viele Frauen beim Sex gar nicht erst so erregt werden, dass sie diese orgasmische Entladung überhaupt suchen. Und das will ich nun wirklich nicht dem Partner in die Schuhe schieben. Denn für unsere Erregung sind wir schon selber zuständig. Aber wir haben immer noch zu viele Hemmungen und Verbote im Kopf, trauen uns nicht, wirklich loszulassen. Zudem wissen viele Frauen gar nicht, was sie wirklich brauchen. Wie sollen sie es dann beim Sex finden? Frauen erwarten nicht selten von ihren Liebhabern, dass diese ihnen den Orgasmus verschaffen. Stellen wir uns das einmal anders herum vor: Ein Mann liegt im Bett und lässt sich bedienen. Ja, das kennen wir sicherlich aus der einen oder anderen Situation. Aber letztendlich nimmt er es selber in die Hand, wenn es zum Endspurt geht. Und das machen Frauen viel zu selten. Sie sagen nicht „Stopp, ich bin noch nicht so weit!“ Sie sagen auch nicht „Mach mal anders, mach lieber so.“

Macht Euch stark für Eure Lust!

Ja, Sex kann auch ohne Orgasmus gut sein. Sehr gut sogar. Und das für beide Seiten, nicht nur für Frauen. Aber nur unter der Bedingung, dass er absichtslos ist und der Orgasmus nicht als Höhepunkt und gelungener Abschluss des Liebespiels betrachtet wird. Denn das „Liebesspiel“ ist oft gar kein Spiel sondern nur der schnellste Weg, um zum Höhepunkt zu gelangen. Doch gerade das setzt unter Druck. Männer wollen beweisen, wie gut sie sind und Frauen fühlen sich gestresst. Das macht keinen Spaß. Es geht beim Sex nicht darum, als Erster oder als Erste das Ziel zu erreichen. Und eine Ejakulation ist nur dann wirklich wichtig, wenn es darum geht, ein Kind zu zeugen. Auf der anderen Seite müssen Frauen lernen, ihren eigenen Körper zu beherrschen und sich für ihre eigene Lust stark zu machen. Erregung entsteht im Kopf. Wir brauchen das Wissen darum, was uns erregt und wie wir das einsetzen. Die Erwartungshaltung „Er muss doch wissen, was er zu tun hat“ ist falsch. Wir selber müssen wissen, was wir brauchen. Und nur dann steigen auch die Chancen auf Gleichberechtigung!

Veröffentlicht auf: https://www.orion.de/blog/orgasm-gaporgasmusluecke-wenn-frauen-weniger-kommen-als-maenner/

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