Wenn wir uns verlieben, sind wir meistens überglücklich und wollen mit unserem Partner oder unserer Partnerin alles teilen: Das Bett, den Körper, das Leben. Wir erforschen uns gegenseitig, wollen wissen, was den anderen bewegt, was er oder sie mag und was Lust bereitet. Wir suchen die Verschmelzung. Alles ist neu, alles ist toll. Wir fühlen uns seelenverwandt und verstanden.
Manchmal überschreiten wir bei dem Wunsch, uns wahrhaftig zeigen zu wollen, unsere eigenen Grenzen. Wir geben in der Euphorie der Verliebheit Gefühle, Wünsche oder Fantasien preis, die wir sonst für uns behalten. Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die sich gar nicht öffnen. Vielleicht nicht öffnen können. Menschen, die schlechte Erfahrungen in der Beziehung zu anderen Menschen gemacht haben. Im Laufe der Zeit lernen wir uns wirklich besser kennen. Die einen werden verletzlicher und reden gar nicht mehr so offen wie am Anfang. Vielleicht haben sie Angst, den anderen zu verstören oder mit ihren Wünschen und Fantasien auf Ablehnung zu stoßen. Die anderen werden offener und trauen sich mehr, weil sie sich sicher aufgehoben fühlen.
Für viele Paare kommt irgendwann die Frage auf, wie viel Offenheit eine Beziehung verträgt und welche Erlebnisse, Erfahrungen und Gedanken sie mit dem Partner oder der Partnerin teilen sollen. Patentrezepte gibt es wie üblich nicht, nur Meinungen. Das hier ist meine zu drei wichtigen Themen:
Beginnen wir gleich mit dem Brisantesten. Denn so manche sexuelle Vorliebe brodelt in uns. Und so manche Sexvorliebe scheint eine Art Verstörungscharakter zu haben. Denken wir zumindest. Wir befürchten, den anderen oder die andere damit zu verschrecken, gar abzustoßen.Dabei muss es gar nicht immer um ausgefallene Fetische gehen. Manchmal sind es die kleinen Dinge wie eine leicht härtere Gangart oder Berührungen an vermeintlich unziemlichen Stellen. Wir lauern auf Bemerkungen, die uns darin bestätigen, bloß nichts zu sagen. Am Liebsten würden wir die Komfortzone, in der wir uns gemütlich eingerichtet haben, gar nicht verlassen. Zuerst ist das Schweigen ja auch noch ok. Alles ist neu und ohnehin so aufregend. Aber irgendwann schleicht sich Unzufriedenheit ein. Warum muss ich seine/ihre Wünsche erfüllen, während meine eigenen kein Gehör finden?
Wer dauerhaft seine geheimen und geheimsten Wünsche unterdrückt, verliert am Ende die Lust an der gemeinsamen Sexualität. Und das wirkt sich natürlich auch auf den Partner oder die Partnerin aus. Er oder sie fragt sich, was nicht stimmt, ob es an ihm oder ihr liegt und beginnt womöglich damit, unangenehme Fragen zu stellen oder sich zurückzuziehen. Also raus damit. Selbst wenn es zunächst keine Umsetzung gibt, kann zumindest ein Dialog beginnen.
Selbst wenn ein Tagebuch offen herumliegt, sogar wenn es aufgeschlagen herumliegt, hat der Partner oder die Partnerin nicht im Geringsten das Recht, darin zu lesen. Wer meint, es sei ein versteckter Hinweis, kann fragen, ob das Lesen tatsächlich erwünscht ist. Ein Tagebuch ist Privatsache. Es ist dazu gedacht, Gedanken, Träume, Wünsche festzuhalten. Es ist ein geheimer Ort, an dem wir unsere Gedanken schweifen lassen können. Für so manchen ist es eine Art Zwiegespräch mit sich selbst. Der Inhalt garantiert keinerlei Wahrheitsgehalt. Er ist kein Tatsachenbericht. Wir können hineinschreiben, was wir wollen. Und sei es noch so abwegig. Was wäre, wenn ..?
Wenn die Neugier einfach nicht zu besiegen war und der Apfel bereits gegessen wurde, wartet am Ende nur noch die Vertreibung aus dem Paradies. Dieser biblische Vergleich scheint mir an dieser Stelle passend. Der Partner oder die Partnerin wird sich in den Beschreibungen zuweilen gar nicht wiedererkennen. Das kann sehr verunsichern und bereits vorhandene Ängste noch verstärken.
Die Beschreibung ausschweifender sexueller Fantasien muss noch lange nicht bedeuten, dass das Liebesleben unbefriedigend ist. Manche Fantasien sind Fantasien sind Fantasien. Am besten erscheint es dann noch, nicht direkt mit den Vorwürfen und Zweifeln herauszuplatzen. Der Übeltäter oder die Übeltäterin sollte sich lieber ein paar Tage Bedenkzeit gönnen und die Informationen erst einmal sacken lassen. Ähnlich verhält es sich mit dem Lesen von Briefen, Mails oder Kurznachrichten. Wer schon unter Zweifeln leidet, findet schnell etwas, das vermeintlich verdächtig aussieht. Deshalb: Finger weg und stattdessen die Privatsphäre des Liebsten oder der Liebsten respektieren!
Auch so ein Reizthema. So manchen oder manche treibt das schlechte Gewissen nach einem Seitensprung um. Da scheint es angesagt, sich beim Partner zu erleichtern und zu beichten. Es ist, als würde man damit um Absolution bitten. Aber hilft das dem anderen? Und hilft es der Beziehung? Dafür gibt es nun wirklich kein Patentrezept. Kann es gar nicht geben, denn die Art des Umgangs hängt stark von der Form der Beziehung, der Art des Seitensprungs und dem Umgang der Partner miteinander ab.
Ein Gewissen zu erleichtern, wenn es sich nur um eine einmalige Sache handelte, einen Ausrutscher womöglich noch unter Alkohol, kann mehr Schaden hervorrufen als das Verschweigen. Sollte dabei im Übrigen auch nur im Entferntesten die Möglichkeit bestehen, sich eine sexuell übertragbare Infektion eingefangen zu haben, obliegt es der eigenen Verantwortung, sich untersuchen zu lassen und den Partner zu schützen.
Dies gilt natürlich auch für längere Affären. Bei denen kann das Verschweigen nun gerade zum Ende der Beziehung führen. Denn für eine längere Außenbeziehung gibt es zumeist einen triftigen Grund. Unzufriedenheit in der Beziehung, das Fehlen von Bestätigung, das Unterdrücken von sexuellen Wünschen. Die Liste der Gründe ist lang. Ein Offenlegen kann eine Chance für die Beziehung bedeuten. Die Partner können nach der anfänglich vermutlich sehr aufwühlenden Phase dazu übergehen, sich zu sortieren:
Dieses Aussprechen kann der Nährboden für eine neue Form der Kommunikation und für eine emotional tiefergehende Bindung sein.
Veröffentlicht auf orion.de