BDSM: Fluch oder Segen?

Laut Insidern sind in Deutschland zwischen 500.000 und acht Millionen Menschen an BDSM-Praktiken interessiert. Dabei steht die Abkürzung für: Bondage & Discipline, Dominance & Submission und Sadism & Masochism und erweitert damit die bisherige allgemeine Bezeichnung SM für Sadomasochismus. Die weit verbreitete Lektüre von Büchern wie „Shades of Grey“ dürfte so einiges zu der großen Beliebtheit beigetragen haben…

Dabei wird von den „echten“ BDSMlern belächelt, was brave Paare seitdem mit Hilfe von Augenbinden und Tüchern beim Liebesspiel miteinander anstellen. Denn die Praktiken des BDSM reichen von diesem spielerischen Fesseln, Beißen, Hintern versohlen und Augen verbinden weit hinaus bis hin zu schmerzhaften Bestrafungen, der totalen Einschränkungen der Beweglichkeit und psychischer Erniedrigung.

In der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) fällt diese Vorliebe bis heute unter den Punkt Störungen der Sexualpräferenz. Aber kann man bei einer derartigen Verbreitung überhaupt noch von einer Störung sprechen? Ganz im Gegenteil scheint es laut einer Studie der Nyenrode University sogar so zu sein, dass Menschen mit dieser Vorliebe psychisch gesünder sind als andere. Mehr dazu weiter unten.

Die Krankheit „Sadomasochismus“

Zuerst einmal die Frage, was genau eine Störung der Sexualpräferenz bedeutet: Hierunter wird der sexuelle Drang nach einem unüblichen Sexualobjekt oder einer unüblichen sexuellen Stimulierung verstanden, als da wären Fetischismus, Transvestitismus, Voyeurismus, aber auch Pädophilie.

Und eben der sexuelle Sadomasochismus. In der ICD-10 findet sich unter F65.5 Folgendes zur Erläuterung: „Es werden sexuelle Aktivitäten mit Zufügung von Schmerzen, Erniedrigung oder Fesseln bevorzugt. Wenn die betroffene Person diese Art der Stimulation erleidet, handelt es sich um Masochismus; wenn sie sie jemand anderem zufügt, um Sadismus. Oft empfindet die betroffene Person sowohl bei masochistischen als auch sadistischen Aktivitäten sexuelle Erregung.“* Hm, acht Millionen Menschen mit einer Präferenzstörung? Oder acht Millionen Menschen, die ganz normal sind, wenn wir nur die Definition ändern?

Sadomasochismus ist auch keine Erfindung unserer Zeit. Wir müssen uns nur einmal die Grausamkeiten auf den alten Gemälden und Illustrationen des ausgehenden Mittelalters anschauen. Da kann mir keiner erzählen, dass es dem Betrachter nicht schon damals um die Lust am Schmerz ging. Nebenbei bemerkt finden sich diese Bilder bis heute in der Literatur des BDSM.

Eine frühe Katalogisierung, die bis heute in den Köpfen steckt

Was ist denn heute noch eine „unübliche sexuelle Stimulierung“? In der Frühzeit der Sexualwissenschaft Ende des 19. Jahrhunderts hat der deutsche Psychiater von Krafft-Ebing alle zu seiner Zeit als abweichend und pervers geltenden sexuellen Praktiken katalogisiert. Und darunter fiel in der prüden Zeit des Bürgertums so ziemlich alles, abgesehen von der ehelichen Missionarsstellung. Einige der Praktiken sind heute rehabilitiert – wie die Selbstbefriedigung und die Homosexualität -, andere noch lange nicht – wie der Sadomasochismus.

Schon länger wird gefordert, die Krankheitsbilder Sadismus und Masochismus aus der ICD-10 zu streichen. Heute wird zwar allgemein davon ausgegangen, dass eine Störung nur eine Störung ist, wenn der oder die Betroffene ein Problem damit hat oder andere mit seinem oder ihrem Handeln verletzt. Aber das Stigma der Klassifizierung bleibt und führt selbst wiederum oft erst dazu, dass ein Problem entsteht. „Dort steht geschrieben, dass mein Handeln krank sei. Dann bin ich das wohl auch“ lautet einer solcher Glaubenssätze.

Alles ganz normal? Alles ganz normal!

2013 wurde im Journal of Sexual Medicine eine Studie der Nyenrode University aus den Niederlanden veröffentlicht. 1336 Menschen mit und ohne BDSM-Neigung waren zu ihren Charaktereigenschaften, ihrem allgemeinem Wohlbefinden, ihrem Umgang mit Zurückweisung und ihrem Beziehungsverhalten befragt worden.

Fazit: BDSM-Anhänger sind demnach ganz im Gegensatz zu der bisherigen Meinung psychisch gesünder als Blümchensex-Anhänger. Sie seien „weniger neurotisch, offener, reagieren sensibler auf Zurückweisung und führen stabilere Beziehungen“. Juhu, endlich Land in Sicht? Dabei wird die Lust auf Macht und Unterwerfung häufig mit traumatischen Erlebnissen in Verbindung gebracht. Das kann ja auch gut ein Auslöser sein, trifft aber auf viele andere Menschen auch zu.

Eine Erklärung für dieses unerwartete Ergebnis könnte tatsächlich sein, dass BDSMler offener mit ihren sexuellen Wünschen umgehen. Sie kommunizieren darüber und leben sie auf die eine oder andere Weise aus. Das ist mehr, als so manch anderer oder andere von sich behaupten kann. Das ewige nicht-Herausrücken mit dem, was man sich wünscht, führt nämlich langfristig betrachtet zu sexuellem Frust und innerlichem Verbiegen. Und manchmal auch zu gewaltsamen Entladungen. Letztlich wäre es schön, wenn diese Studie mit zur Streichung von F65.5 aus der ICD-10 führen würde. Aber vielleicht ist es ja auch gerade der Reiz des scheinbar Verbotenen, der das das Spiel mit Macht und Ohnmacht so reizvoll erscheinen lässt.

Veröffentlicht auf idee für mich

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